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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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hatte eine jüngere Schwester. Inés heißt sie, glaube ich.« Er schnaufte tief, und es klang fast wütend. »Morgen haben wir Gewissheit. Heute müssen wir uns auf die andere Achse konzentrieren.«
    »Aleix.« Leire überlegte ein paar Sekunden. »Eins ist klar: Wenn Regina gestern Nachmittag mit ihm zusammen war, wie sie Ihnen eben gesagt hat, konnte Aleix nicht zu Gina nachhause gehen.«
    »So ist es«, sagte der Inspektor. »Und weißt du was? Das Dumme ist, dass ich mir einfach niemanden in diesem Fall als Mörder vorstellen kann. Alle sind zu wohlerzogen, zu korrekt, und wie es scheint, auch zu beschäftigt. Wenn einer von ihnen erst Marc und dann Gina umgebracht hat, muss es einen schwerwiegenden Grund geben. Einen tödlichen Hass oder eine panische, unkontrollierbare Angst.«
    »Was uns wieder zu Iris führt ... Wenn sie nur im Pool ertrunken ist, wenn ihr Tod ein Unfall war, ergibt das alles keinen Sinn.« Leire musste an das Gesicht von Pater Castellsin dem Café denken. »Aber dafür haben wir nur das Wort des Priesters.«
    Héctor schaute ihr in die Augen.
    »Ich weiß, was du jetzt denkst, aber ich glaube, wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
    »Haben Sie das ganze Blog gelesen, Inspektor? In seinen letzten Einträgen spricht Marc ständig von Gerechtigkeit und dass der Zweck die Mittel heiligt, dass die Wahrheit bald ans Licht kommt.«
    »Und in der letzten Mail an seine Mutter schrieb er, dass er in Barcelona etwas regeln müsse, eine wichtige Sache. Bestimmt hatte es mit dem Tod von Iris zu tun.«
    »Als Sie eben von dem Koordinatensystem sprachen, haben Sie, glaube ich, etwas vergessen, Inspektor. Ich meine den Punkt, an dem sich die beiden Achsen in der Mitte kreuzen. Der einzige Name, der in beiden Fällen auftaucht.« Leire schlug einen harten Ton an, frei von jeder Sympathie. »Pater Fèlix Castells.«
    Da hatte sie zweifellos recht, dachte Héctor. Und sein Eindruck, dass der Priester etwas verbarg, drängte sich wieder in seine Gedanken.
    »Wenn es das wäre, sieht die Sache womöglich sehr hässlich aus.«
    »Mag sein, aber alle Angaben zu Iris, die Magersucht, die plötzliche Veränderung ihres Wesens, sie passen haargenau in das Profil eines Mädchens, das Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen ist. Marc war ein kleiner Junge damals, aber vielleicht hat er sich in Dublin erinnert, warum auch immer, und ist zu demselben Schluss gekommen wie wir jetzt.«
    Héctor beendete die Überlegung.
    »Und dann kam er nach Barcelona, um die Wahrheit herauszufinden. Aber wie? Ob er es seinem Onkel auf den Kopf zugesagt hat?«
    »Vielleicht, ja. Vielleicht hat er ihn aufgesucht. Und vielleicht hat Pater Castells vor lauter Schreck beschlossen, seinen Neffen aus dem Weg zu räumen.«
    Die Argumentation war von bestechender Logik. Aber wie immer ließ die Logik die Gefühle außer Acht.
    »Vergessen wir nicht, dass sie sich gernhatten«, erwiderte Salgado. »Marc hatte mit einem unnahbaren Vater zusammengelebt, und glaub mir, ich weiß, was das heißt. Und dann fand er sich in einer Familie wieder, die ihn an den Rand schob. Sein Onkel war für ihn eine Art Ersatzmutter. Er hätte sich seines Verdachts schon sehr sicher sein müssen, um ihn zu verraten. Außerdem mochte der Mann seinen Neffen wie einen Sohn. Dessen bin ich mir sicher. Er hat sich um ihn gekümmert, hat ihn aufgezogen ... Man tötet seinen Sohn nicht, was immer er tut.«
    »Auch nicht, um sich selber zu retten?«
    »Nein, auch dann nicht.«
    Für eine Weile saßen sie beide da, versunken in ihren Gedanken. Héctor wusste, dass er sich von seiner Kollegin möglichst geräuschlos verabschieden und mit Savall sprechen sollte. Leire dagegen schweifte weit ab von dem Fall. Unnahbarer Vater, Liebe zwischen Kindern und ihren Eltern ... All das berührte sie zu sehr, und sie hatte das starke Bedürfnis, Tomás zu sehen.
    »Ich muss mich jetzt um ein paar persönliche Dinge kümmern«, sagte Héctor, und sie seufzte erleichtert auf.
    »Prima. Ich nämlich auch«, murmelte sie, fast zu sich selbst.
    »Du könntest heute Nachmittag etwas erledigen, das wäre sehr hilfreich.« Und Héctor erklärte ihr, nun ein wenig leiser, seinen Plan.
    Unterinspektorin Andreu genoss den leuchtenden Sommersamstag ganz und gar nicht. Sie war schon schlecht gelaunt aufgestanden, nachdem sie die halbe Nacht wachgelegen und über ihre Begegnung mit dieser verschüchterten Frau im Parc de la Ciutadella gegrübelt hatte. Aber die Zweifel hatten sich nicht

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