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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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war betrunken an dem Abend. Eher wäre sie selber runtergefallen ... Allein der Gedanke ist lächerlich.«
    Die Selbstsicherheit, mit der er es sagte, war entwaffnend.
    »Worauf, glaubst du, bezogen sich dann die Zeilen, die sie hinterlassen hat?« Leire nahm ihre Notizen hervor und las laut Ginas letzte Worte. Während sie las, behielt sie Aleix im Auge, und sie glaubte einen Schatten zu erkennen, einen Schatten von Schuld.
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte er. Er stand vom Bett auf und trat zu ihr. »Kann ich sehen?«
    Leire hielt ihm die Abschrift hin. Aleix’ Gesicht zeigte erst Überraschung, dann Ratlosigkeit und schließlich etwas, was der Angst sehr nahe kam.
    »Hat sie es so geschrieben? Genau so, wie es da steht?«, murmelte er.
    »Ja. Ich habe es genau so notiert, wie es geschrieben stand.«
    Er wollte schon etwas sagen, ließ es aber bleiben. Dann war die Stimme von Dr. Rovira zu hören, der ihn von unten rief.
    »Ich muss gehen.« An der Tür drehte er sich um. »Wollen Sie mich noch auf dem Kommissariat sehen? Am Montag?« In seiner Haltung lag etwas Herausforderndes.
    »Ja.«
    »Dann also bis Montag.«
    Er ging rasch hinaus, und Leire las nachdenklich noch einmal die Notiz. Ihr war etwas entgangen, ganz sicher. Siebrannte darauf, Salgado zu sehen, um sich mit ihm auszutauschen.

27
    Nach dem Regen vom Vortag rächte sich die Sonne und strafte die Stadt schon seit den frühen Morgenstunden mit aller Wucht. Nicht mal bei offenem Fenster und offenem Balkon war es auszuhalten, dachte Carmen und tupfte sich mit einem Stück Küchenpapier den Schweiß von der Stirn. Und das, wo sie den Sommer immer sehr gemocht hatte, schon als kleines Kind. Aber nicht so etwas: diese Sonne, die ihr Feuer aus dem Zenit in die Straßen schickte, dass man den ganzen Tag nur schwitzte und schlecht gelaunt war. Sie schenkte sich ein Glas kühles Wasser ein und trank langsam, in kleinen Schlucken. Dann wandte sie sich um und drehte die Musik aus. Sie hätte auf den freundlichen jungen Mann hören sollen, der vor ein paar Tagen an der Tür stand und sie überreden wollte, eine Klimaanlage einzubauen. Carmen hatte sogar einen Termin vereinbart, aber dann hatte sie sich doch nicht entschließen können. Diese modernen Geräte waren ihr unheimlich, aber jetzt warf sie sich vor, dass sie nicht auf ihn gehört hatte.
    Das kalte Wasser stärkte sie ein wenig und gab ihr die nötige Kraft, den Gazpacho zuzubereiten. Es war das Einzige, was sie im Sommer zu sich nehmen konnte: ein Glas schön kühlen Gazpacho. Als sie fertig war, stellte sie ihn in den Kühlschrank und räumte die Küche auf. Endlich, dachte sie und sackte fast zusammen. Endlich hatte sie alles so weit. Ein ewig langer und schwüler Tag lag vor ihr. Sie ging zum Balkon, aber um diese Zeit lag er in der prallen Sonne, und sie sah davon ab, einen Blick auf die Straße zu werfen. Wie dieses Viertel sich verändert hatte ... Zum Guten, sagte sie sich. Nostalgie war ihre Sache nicht. Die vergangenen Zeiten warenniemals besser, nur unterhaltsamer, das schon. Das war das Schlimmste am Alter: die ewigen Stunden, die sich nicht ausfüllen ließen, weder mit Fernsehen noch mit Illustrierten. Früher hatte sie auf der Treppe wenigstens noch Ruth. Und Guillermo. Der Junge war wirklich ein Goldstück. Und wie immer, wenn sie an ihn dachte, an dieses Kind, für das sie wie eine Großmutter war, erinnerte Carmen sich an ihren Sohn. Wie lange schon hatte sie nichts mehr von ihm gehört? Vier Jahre? Fünf? Wenigstens hatte er sie nicht wieder um Geld gebeten, Héctor hatte dafür gesorgt. Héctor ... Armer Héctor! Nicht dass sie Ruth falsch eingeschätzt hätte, keineswegs. Jede Ehe musste mit sich zurechtkommen, und wenn die junge Frau nach so vielen Jahren gegangen war, musste es einen Grund geben. Aber die Männer konnten nicht alleine sein. Das war eine unumstößliche Tatsache. Sie konnten sich selbst nicht einmal richtig ernähren.
    Ihr kam eine Idee, und auch wenn sie ein leichtes Unbehagen dabei verspürte, beschloss sie, sie in die Tat umzusetzen. Seit seiner Rückkehr aus Buenos Aires hatte Carmen noch keine Gelegenheit gehabt, mit Héctor zu sprechen, aber sie spürte, dass es ihm nicht gutging. Sicher hätte er nichts dagegen, wenn sie seine Wohnung betrat. Und so ging sie in die Küche, schüttete die Hälfte des Gazpachos in eine saubere Kanne und nahm die Wohnungsschlüssel ihres Nachbarn. Als sie im Treppenhaus stand, wollte sie fast schon wieder umkehren, aber

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