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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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angetrieben von ihrem guten Willen, zum Teil auch von der Langeweile, machte sie sich mit der Kanne in der Hand auf den Weg. Das Treppenhaus roch seltsam, sagte sie sich, als sie den ersten Absatz erreichte. Es müffelte, nach Verfaultem. Ein paarmal schon war es vorgekommen, dass irgendein Tier in die leere Wohnung, die sie für ihren Sohn freihielt, eingedrungen und dort gestorben war. Sie ging weiter hinauf, langsam, sie hatte es nicht eilig. Dochkaum war sie an der Tür im dritten Stock, schlüpfte sie in die Wohnung.
    Die Aufteilung war praktisch dieselbe wie bei ihr, so dass sie trotz heruntergelassener Jalousien auf die Küche zuging, ohne Licht zu machen. Der leere Kühlschrank nahm die Kanne mit einem zufriedenen Schnurren auf. Carmen schloss ihn und verließ gerade die Küche, als sie ein Geräusch aus dem Schlafzimmer hörte. Als hätte der Wind die Tür zugeschlagen. Aber es wehte kein Wind. Nicht das leiseste Lüftchen wehte durch diese Wohnung, in der alle Fenster geschlossen waren. Gepackt von der Neugier, ging sie durchs Esszimmer auf das Wohnzimmer zu. Tatsächlich, die Tür war zu. Sie drehte langsam den Griff, stieß die Tür leicht an, und schon stand sie sperrangelweit auf.
    Sie stolperte über etwas. Durch die Schlitze der Jalousie drang kaum Licht, und so tastete sie nach dem Schalter für die Deckenlampe. Doch als ihre Finger ihn schon fast berührten, trafen sie nicht auf das erwartete Plastik, sondern auf eine Hand, die sich auf die ihre legte. Der Schreck war so groß, dass sie nicht reagieren konnte. Sie stand nur da und sah, wie aus dem Schatten eine dunkle Gestalt hervortrat. Sie wollte schreien, doch ihre Stimmbänder versagten. Gelähmt wie sie selbst.
    Eine Sekunde später schloss Carmen die Augen und hob den Arm, ein letzter, kindlicher Versuch, sich vor dieser schwarzen Gestalt zu schützen, die einen langen Stock in der Hand hielt. Der erste Schlag traf sie an der Schulter, und mit einem schmerzvollen Stöhnen ließ sie den Arm sinken. Der zweite stürzte sie in einen bodenlosen Abgrund.

28
    Héctor und Leire hatten die Wohnung der Martís verlassen und traten nun in die brütende Mittagshitze, die das Zentrum von Barcelona fest im Griff hielt. Es war einer dieser Tage, an denen die Stadt ohne alle Zwischentöne leuchtete, wie eine Filmszene in Technicolor, bevölkert von Touristen in Bermudashorts und Baseballkappen, Stadtplan und Digitalkamera immer im Anschlag. Während sie langsam die Rambla Catalunya hinuntergingen, dachte Héctor an die letzten Augenblicke in der Penthousewohnung an der Via Augusta. Die Roviras waren vorher schon gegangen, einschließlich Aleix, und kurz danach brachen auch die Castells auf. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie unwohl sie sich fühlten. Salvador Martí schien der Einzige zu sein, dem entging, welcher Verdacht in jeder Beileidsbekundung mitschwang, in jedem »Es tut mir ja so leid«; mit welcher Beklemmung Enric Castells ihm die Hand gab und wie verdruckst Glòria und Señora Rovira ihn anschauten. Regina hatte sich geweigert, ihr Zimmer zu verlassen und wen auch immer zu empfangen, dabei hatten die beiden Frauen sogar an ihre Tür geklopft.
    Die schattigen Caféterrassen luden zum Verweilen ein, auch wenn beide wussten, dass ein geschlossener Raum mit Klimaanlage die einzige Möglichkeit war, der Hitze zu entfliehen. Doch nur die Straße bot ihnen die notwendige Anonymität, um die neuesten Einzelheiten des Falls zu besprechen. Als sie an einem der Tische saßen, vor sich jeweils einen Espresso mit Eiswürfeln, unterrichtete Héctor die Kollegin über seine Gespräche mit Fèlix Castells und Regina Ballester, verschwieg vorsichtshalber jedoch, dass der Name von Kommissar Savall gefallen war. Leire berichtete ihm von ihrer Unterhaltung mit Aleix Rovira und dass sie verstärkt den Eindruck habe, der Junge enthalte ihnen, wie auch schon Gina, etwas Wichtiges vor.
    »Ist dir aufgefallen, dass in unserem Fall alles auf zwei Namen hinausläuft?«, fragte Héctor, als sie zu Ende gesprochen hatte. »Als bewegten wir uns auf den Achsen eines Koordinatensystems: hier Aleix, mit allen befreundet, Liebhaber von Regina, geborener Manipulator; dort diese Iris ... auch wenn sie tot ist.«
    Leire nickte. Ihr Gehirn arbeitete auf vollen Touren, trotz der Hitze.
    »Was mir merkwürdig vorkommt: Marc hat sich an alles erst wieder erinnert, als er in Dublin war. Warum? Und wer hat Joana die Mail geschickt?«
    Héctor kam ein vager Verdacht.
    »Iris Alonso

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