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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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gerufen, wenn der Blick der Unterinspektorin Andreu ihm nicht unmissverständlich bedeutet hätte, den Mund zu schließen.

29
    Ein überraschter Lluís Savall öffnete die Tür seiner Wohnung an der Ausiàs March, nicht weit von der Estació del Nord. Inspektoren in den eigenen vier Wänden zu empfangen, noch dazu an einem Samstag und zur Essenszeit, war nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung des Kommissars, aber der Ton in Héctors Stimme hatte ihn mehr als neugierig gemacht. Außerdem waren zur Abwechslung seine Töchter nicht da, und seine Frau war mit einer Freundin an den Strand gefahren und würde erst abends zurückkommen. Also hatte er sich in der Wohnung ausgebreitet und einen Teil des Vormittags darauf verwandt, mit seinem fünftausendteiligen Puzzle voranzukommen, bei dem ihm noch mehr als tausend Teile fehlten.
    »Möchtest du etwas trinken? Ein Bier?«, fragte Savall.
    »Nein, danke. Tut mir leid, dich heute zu belästigen, Lluís, wirklich.«
    »Ich hatte sowieso nichts Besonderes vor«, erwiderte der Kommissar und dachte leicht wehmütig an sein Puzzle. »Aber setz dich doch, ich hole mir ein Bier. Willst du wirklich keins?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    Héctor setzte sich in einen Sessel und überlegte, wie er die Sache angehen sollte. Savall kam gleich zurück, mit zwei Dosen und zwei Gläsern. Nachdem er das blöde Bier angenommen hatte, sagte sich Salgado, dass niemand, der eine leitende Stellung innehatte, jemals kurze Hosen tragen sollte.
    »Was führt dich her?«, fragte der Kommissar. »Etwas Neues im Fall dieses Mädchens?«
    »Gina Martí?« Héctor schüttelte den Kopf. »Kaum Neuigkeiten. Zumindest solange der Obduktionsbericht noch nicht vorliegt.«
    »Klar. Und?«
    »Ich wollte außerhalb des Kommissariats mit dir sprechen, heute noch.« Héctor ärgerte sich, dass er solche Umschweife machte, und beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du die Castells schon kanntest?«
    Die Frage klang wie ein Vorwurf, und Savalls Laune schlug sofort um.
    »Ich sagte dir bereits, dass ich mit der Mutter befreundet war.«
    »Ja. Aber du hast nicht erwähnt, dass du mit einem anderen Fall betraut warst, der mit ihnen zu tun hatte.« Er fragte sich, ob er den Namen nennen sollte oder ob der Kommissar merkte, worauf er hinauswollte. Sicherheitshalber fügte er an: »Vor Jahren ist ein Mädchen in einem Ferienlager ertrunken. Der Leiter, oder wie man seine Funktion nennt, war Fèlix Castells.«
    Savall hätte sich verstellen und so tun können, als wäre es ihm entfallen, als hätte er die beiden Namen nicht miteinander in Verbindung gebracht: zwei Todesfälle, und dazwischen lagen dreizehn Jahre. Héctor hätte ihm vielleicht geglaubt. Doch seine Augen verrieten ihn, offenbarten, was beide wussten: Der Fall Iris Alonso, des Mädchens, das inmitten von Puppen ertrunken war, gehörte zu jenen, die über die Jahre im Gedächtnis haften blieben.
    »Ich erinnere mich nicht an den Namen des Mädchens ...«
    »Iris.«
    »Ja. Der Name war damals nicht sehr häufig.« Der Kommissar stellte sein Glas auf dem Couchtisch ab. »Hast du eine Zigarette?«
    »Habe ich. Ich dachte, du rauchst nicht.«
    Héctor gab ihm eine Zigarette, bot ihm Feuer an, zündete sich selber eine an und wartete. Der Rauch beider Zigaretten bildete ein weißes Wölkchen.
    »Was weißt du noch von dem Fall?«, hakte Salgado nach.
    »Wenig, Héctor. Sehr wenig.« An seinen Augen war abzulesen, dass die Erinnerungen, auch wenn sie nur bruchstückhaft kamen, alles andere als angenehm waren. »Was soll das jetzt? Hat es etwas damit zu tun, was Joanas Sohn passiert ist?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht kannst du es mir sagen.«
    »Ich erinnere mich an ihn. An Marc. Er war noch ein kleiner Junge und sehr mitgenommen. Tief erschüttert.«
    »Er hat sie gefunden, nicht wahr?«
    Savall bejahte, ohne zu fragen, woher er es wisse.
    »Zumindest hieß es das.« Er schüttelte den Kopf. »Kinder sollten so etwas nicht sehen.«
    »Nein. Und sie sollten auch nicht ertrinken.«
    Der Kommissar sah Héctor schief an, und seine Miene, die vor ein paar Sekunden noch Unbehagen verriet, zeigte auf einmal schroffe Ungeduld.
    »Dein Ton gefällt mir nicht. Warum fragst du nicht, was du wissen willst?«
    Weil ich nicht genau weiß, was ich fragen soll, dachte Héctor.
    »Lluís, wir kennen uns seit Jahren. Du bist nicht nur mein Chef, du hast dich auch immer wie ein Freund verhalten. Aber jetzt muss ich einfach wissen,

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