Der Sommer der toten Puppen
war als alles vorher.
»Wie war’s gestern Abend?«, fragte Tomás, der sich zwischen einer weiteren Krokette und einem fetttriefenden Pastetchen nicht entscheiden konnte. Schließlich trank er Wasser.
»Ziemlich hart. Ein totes Mädchen. Zuhause in der Badewanne.«
»Selbstmord?«
»Das wissen wir nicht«, sagte sie in einem Ton, der das Thema begraben wollte. »Du, tut mir leid, dass ich dich eben geweckt habe ... aber wir müssen miteinander reden.«
»Auweia, klingt nach Kopfschmerzen ...« Er lächelte sie an. Dann stellte er den Teller beiseite. »Ich habe keinen Hunger.«
Leire sehr wohl, aber das war jetzt egal. Sie würde keinen Bissen herunterbekommen, bevor sie sich nicht von dieser drückenden Last befreit hatte. Noch einmal musste sie an den Rat von María denken. Was hatte sie davon, es ihm zusagen? Sie konnte mit ihm Schluss machen, jetzt gleich, ihm sagen, sie hätte jemanden kennengelernt, und der Mann würde sein Leben in Ruhe weiterleben und nicht wissen, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Er würde sich eine andere suchen, mit der er übers Meer kreuzen konnte, und rasch die paar wilden Nächte vergessen. Vielleicht würde er sie eines Tages anrufen, aber sie würde nicht drangehen. Sie seufzte. Warum zum Teufel musste sie immer so aufrichtig sein? Sie hatte noch nie lügen können, ob es um sie selber ging oder um andere. Lügen kamen ihr zwar gelegentlich in den Sinn, aber wenn es ans Aussprechen ging, scheiterte sie. Außerdem, wiederholte sie sich, hatte sie nicht vor, ihn um etwas zu bitten: nicht um Geld, nicht um Verantwortung. Das Kind war von ihnen beiden gezeugt worden, aber sie und nur sie hatte beschlossen, dass die Schwangerschaft weiterging. Er konnte abhauen, sie würde nicht nach ihm suchen. Doch die Vorstellung oder auch nur die Möglichkeit, dass dies passierte, schmerzte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. In dem Moment hörte sie, dass er etwas zu ihr sagte, und sie kehrte in die Wirklichkeit zurück.
»… lassen wir es gut sein. Ich weiß ja, dass du dich nicht gerne festlegst, das hast du mir deutlich gezeigt. Aber ich dachte, es wäre einfach schön.«
»Was wäre schön?«
»Das mit dem Boot.« Er sah sie verwundert an und lächelte. »Ich dachte, der Verkaterte bin ich!«
»Klar, das klingt toll.«
Er breitete die Arme aus, gab sich geschlagen.
»Ihr seid einfach nicht zu verstehen. Ich dachte, die Vorstellung, zehn Tage mit mir zusammen zu sein, wäre zu viel für dich ... Du hättest dich bedrängt gefühlt oder so.«
»Ich bin schwanger.«
Er brauchte ein paar Sekunden, um die Information zuverarbeiten. Und noch ein paar weitere, bis er ahnte, dass er selber etwas damit zu tun haben könnte.
»Sch…wanger?«
»Ich gehe am Montag zum Arzt, aber ich bin mir sicher, Tomás.«
»Und ...?« Er schnappte nach Luft. Sie ersparte ihm die Frage.
»Es ist von dir. Da bin ich mir auch sicher.« Mit der Hand bedeutete sie ihm, zu schweigen. »Nur ruhig. Nimm dir Zeit. Du musst jetzt nichts sagen.«
Ohnehin schien es ihm die Sprache verschlagen zu haben. Er räusperte sich. Rutschte auf dem Stuhl hin und her. Sie hätte nicht sagen können, was sein Gesicht ausdrückte: Überraschung, Verlegenheit, Misstrauen?
»Hör zu«, fuhr Leire fort. »Ich erzähle es dir, weil ich glaube, dass du ein Recht hast, es zu wissen. Aber wenn du jetzt aufstehst und gehst, verstehe ich es vollkommen. Wir sind nicht zusammen, gar nichts. Ich werde nicht enttäuscht sein, mich nicht betrogen fühlen, nicht ...«
»Scheiße.« Er lehnte sich zurück und sah sie an, als fiele es ihm schwer, ihr zu glauben. »Ich könnte gar nicht aufstehen, selbst wenn ich wollte.«
Sie musste lächeln.
»Tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich weiß, du hast alles erwartet, nur das nicht.«
»Stimmt. Aber danke, dass du es mir sagst.« Allmählich schien er auf die Neuigkeit eingehen zu können. Er sprach langsam. »Bist du dir sicher?«
»Dass es von dir ist?«
»Dass du schwanger bist! Wo du noch nicht mal beim Arzt warst ...«
»Tomás.«
»Schon gut. Und was hast du vor?«
»Du meinst, ob ich es behalten will?« Es war die logische Frage. »Ja.«
»Aha.« Er nickte langsam. »Du teilst es mir einfach nur mit, ja?«
Leire wollte schon widersprechen, aber im Grunde hatte er natürlich recht.
»Ja.«
»Und die Wahl, vor die du mich stellst, ist ...«
»Na ja, du kannst Zigaretten kaufen gehen und nicht wiederkommen«, sagte sie. »Oder bleiben und Vater des Kindes
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