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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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Verwandten hatte Rolo immer
gehasst, aber er sagte nichts.
    Driftwood
durchwühlte missmutig den Kleiderhaufen. „Hässlich. Hässlich. Hässlich.“
Endlich fand er etwas, das ihm zusagte. Ein schwarzes, ärmelloses Shirt mit
einem Aufdruck von Rolos alter Lieblingsband Iron Maiden . Darüber zog er
ein kariertes Hemd, das er offen trug.
    Rolo
betrachtete das Ergebnis skeptisch. „Als Menschen werdet ihr so auch nicht
durchgehen. Ich hab `ne Idee!“ Er spurtete die Treppe hinauf und kam mit zwei
schwarzen Baseball-Caps der New York-Yankees zurück.
    Die Mützen
rutschten den Alben tief ins Gesicht.
    „Mehr ist da
wohl nicht zu machen. Socke, du solltest vielleicht auch ein Hemd tragen. Oder
eine Jacke. Deine pelzigen Arme sind sehr auffällig.“
    Socke zog
sich eine verwaschene Jeansjacke über.
    „Besser
kriegen wir das nicht hin“, beschloss Rolo.
    „Brrr?“
    „Puh! Sorry,
Kotze, da fällt mir nix zu ein. Wenn wir draußen rum rennen, kommst du in meine
Tasche. Okay?“
    Kotze
stimmte zu.
    „Ich habe
noch was gefunden.“ Rolo legte den Reiseführer auf den Tisch und schlug die
Seite auf, die die Innenstadt von Erzingen zeigte. „Wirf mal einen Blick drauf,
Driftwood. Vielleicht erkennst du was wieder?“
    In diesem
Moment quietschte das Gartentor.
    „Mist. Ihr
bleibt hier. Und ruhig!“ Rolo huschte in den Flur und schloss die
Wohnzimmertüre hinter sich. In Gedanken versuchte er noch schnell, sich eine
Geschichte zurechtzulegen, warum sein Vater gerade nicht da war. Da klopfte es
schon. Rolo zählte bis drei, bevor er reagierte.
    „Wer ist
da?“
    „Frau DoktorSchimpfkäse. Roland, bitte öffne die Tür. Sofort!“
    Rolo
fluchte. Die neugierige Nachbarin war so ziemlich das Letzte, was er jetzt
gebrauchen konnte. Er öffnete die Tür nur einen Spaltbreit.
    „Es tut mir
leid, mein Vater ist …“.
    Aber Frau
Dr. Schimpfkäse schob ihn einfach beiseite. Schon stand sie im Flur. Rolo
musste unvermittelt an einen riesigen Geier denken, der des Nachts
Lockenwickler in den Haaren trägt, und sich jeden Moment auf ihn stürzen würde.
Ihre Turmfrisur drohte, sich in der Deckenleuchte zu verfangen.
    „Ich müsste
wirklich dringend mit deinem Vater reden.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften.
    Bevor Rolo
etwas erwidern konnte, entschwand sie ins Wohnzimmer. Ihm blieb fast das Herz
stehen.
    „Oh, du hast
Freunde zu Besuch.“ Sie setzte ihre Brille, die sie an einem Kettchen um den
Hals trug, ganz weit vorn auf die Nasenspitze.
    Driftwood
und Socke saßen auf dem Sofa, die Mützen tief ins Gesicht gezogen. Sie rührten
sich nicht.
    „Wo ist dein
Vater?“, hakte die Schimpfkäse nach.
    „Ich
versuche schon die ganze Zeit, Ihnen zu sagen …“
    „Haben deine
Freunde keine Manieren? Stehen wir nicht auf, wenn eine erwachsene Person den
Raum betritt?“, zeterte sie. „Und Kopfbedeckungen in geschlossenen Räumen? Ich
muss doch sehr bitten!“ Schon bekam ihre Stimme wieder den hysterischen
Unterton, der auf Rolos Vater wirkte wie eine Hundepfeife.
    „Frau
Schimpfkäse, die beiden sind von weit her. Die kennen so was …“.
    „Es ist nie
zu spät für eine gute Erziehung. Nie zu spät! Auch nicht für dich, junger
Roland!“
    Und bevor
Rolo etwas tun konnte, flatterte sie los und zog den Alben die Mützen vom Kopf.
Sie erstarrte. Driftwood ließ die Beine baumeln und sagte nichts.
    „Hallo“,
grüßte Socke freundlich.
    Das brachte
das Fass endgültig zum Überlaufen. Die Schimpfkäse verdrehte die Augen und
kippte ohnmächtig zu Boden. „Hoppla“, sagte Driftwood.
    „So eine
Kacke!“ Rolo tätschelte ihre Wangen und sprach sie wiederholt laut an.
    Sie
reagierte nicht. Aber ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Socke
reichte ihm ein Kissen vom Sofa, und Rolo bettete ihren Kopf darauf. Kotze
krabbelte unter dem Schrank hervor.
    „So eine
riesen Kacke! Driftwood, du gehst in die Küche und packst alles ein, was essbar
aussieht. Socke, du gehst bitte die Treppe rauf. In meinem Zimmer steht ein
Sparschwein. Bring es mit. Ich rufe einen Arzt, und dann hauen wir ab. Wir
treffen uns in fünf Minuten im Garten. Los!“
    Rolo
schilderte am Telefon in wenigen sachlichen Worten, was geschehen war.
Natürlich erwähnte er nicht den Grund für die Ohnmacht. Dann ging er hinauf und
stopfte in Windeseile saubere Kleidung in einen Rucksack. Als er in den Garten
ging, waren die Alben schon da. Driftwood trug eine große Plastiktüte, Socke
das Sparschwein. Sie hatten wieder ihre Mützen auf dem

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