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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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nicht sagen. Zunächst ist da ein Unterschied zwischen Mensch, Tier
oder maguschem Wesen. Und die meisten Wesen sterben ja, weil sie krank oder alt
sind. Wenn jemand so ein Wesen erwecken würde, dann hätte es nur die Folge,
dass es sofort wieder stirbt an Alter oder Krankheit.
    „Aber Kotze
lebt doch wieder?“
    „Ja und
nein. Durch Driftwoods Zauber ist Kotze zu einem maguschen Wesen geworden. Aber
er ist nicht mehr der Hund, der er mal war. Wir haben ein leeres Gefäß neu
befüllt, könnte man sagen.”
    „Aber
theoretisch könnt ihr Tote wecken?“
    „Ja,
theoretisch schon. Aber das Ergebnis ist unberechenbar. Es soll Magier gegeben
haben, die das perfektionierten, aber davon habe ich nur gehört.”
    „Könnte auch
ein toter Mensch ein magisches Wesen werden?“ „Du willst es aber ganz genau
wissen. Ja, ich denke schon. Aber es wäre nicht mehr der Mensch, der er mal
war. Die Magusch würde ihm ein neues Selbst geben. Das kann furchtbar nach
hinten losgehen.”
    „Jetzt ist
aber mal gut hier. Wir sind hier nicht beim Wandertag!”, meckerte Driftwood.
    Socke
verstummte.
    Sie gingen
und gingen. Das hohe Tempo machte Rolo zu schaffen, und schon bald trottete er
wie ein Schlafwandler dahin. Auch Kotze verließen die Kräfte. Er blieb immer
öfter zurück, bis Socke ihn schließlich trug. Die Alben hingegen schienen immer
munterer zu werden, je weiter die Nacht fortschritt.
    Doch Socke
hatte ein Einsehen. „Drift, wollen wir nicht bald rasten?“
    „Nicht
jetzt. Die Nacht ist gerade so herrlich dunkel.”
    Sie
überquerten einen Fluss über eine kleine Brücke aus Baumstämmen. Dahinter lag
ein See, dessen Ufer sie folgten. „Aufpassen. Hier gibt es moorige Stellen“,
warnte Socke.
    Zu einer
Seite stieg das Gelände steil an. Plötzlich blieb Driftwood stehen.
    „Pst“,
zischte er.
    Als Rolo den
Blick hob, war er allein. Er hörte Geräusche. Ein Rauschen in den Baumwipfeln.
Es klang wie das Rauschen des Windes, zuhause in der Windigen Straße in
Rabenstadt. Aber es war nicht der Wind. Schemenhaft nahm er Bewegungen vor dem
dunklen Firmament wahr. Rolo rannte den Hang hinauf. Er hatte noch nicht die
Kuppe erreicht, da landete eine Krähe vor ihm. Sie schlug mit den Flügeln und
krächzte. Rolo blieb stehen.
    „Hallo?”,
sagte er.
    Ein weiterer
Vogel kam aus der Finsternis.
    „Was wollt
ihr von mir?“
    Sie hackten
nach ihm.
    „He!“ Rolo
sprang beiseite. Die Erinnerung an seinen Tagtraum kam zurück. Immer mehr
Krähen. Es war, als fielen sie aus den Bäumen wie reifes Obst. Schnell waren es
an die hundert Tiere. Und sie zogen den Kreis enger. Rolo sprang herum, um den
scharfen Schnäbeln zu entgehen. Da ertönte ein Pfiff. Sofort stellten die Vögel
ihre Attacken ein. Oben auf dem Hügel erschien eine vertraute Silhouette.
    „Solomon?“
    Die Krähen bildeten
eine Gasse, durch die Solomon gemächlichen Schrittes den Hang hinab kam.
    „Na lüg’ ich
denn? Ist das nicht schon wieder mein junger Freund? Ja, das ist er wohl.“
    „Solomon, ich
bin so froh, Sie zu sehen. Sind das Ihre Vögel?”
    „Meine
Vögel? Ich glaube nicht, dass sie mir gehören. Aber wir sind Freunde.”
    „Könnten Sie
ihnen dann sagen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen?“
    „In Ruhe
lassen? Oh! Ihr habt es gehört, ihr gefederten Scheusale. Hört auf, den jungen
Rolo zu hacken. Was machst du hier?“
    „Ich bin
entführt worden!“
    „Entführt?
Von wem?”
    „Von mir.“
Driftwood sprang von einem hohen Ast zwischen die Krähen.
    Die Vögel
wichen zurück.
    „Driftwood”,
raunte Solomon. Er tippte sich an die Hutkrempe zum Gruß.
    „Solomon”,
erwiderte Driftwood mit einem dezenten Kopfnicken. „Steckst du wieder deinen
hässlichen Kartoffelzinken in meine Angelegenheiten?“
    „Deine
Angelegenheiten? Der Junge ist nicht deine Angelegenheit. Und würdest du nicht
immer nur Unsinn machen, würde ich vieles dafür geben, deinen verlausten Pelz
nicht mehr sehen zu müssen. Aber ich muss dich im Auge behalten. Du treibst
nämlich gefährlichen Unsinn!“
    Rolo
bemerkte, dass die Krähen versuchten, größeren Abstand zu Driftwood zu
gewinnen. Viele drängelten sich zwischen ihren Artgenossen hindurch in die
zweite Reihe.
    „Was weißt
du denn von meinem Unsinn?”, fragte Driftwood kaltschnäuzig.
    „Ich weiß
genug. Du stiftest nur Chaos. Lass den Jungen gehen und verschwinde wieder
unter der Erde!“
    „Nein, das
geht nicht”, wiegelte Driftwood ab.
    Solomon war
mindestens drei Mal so groß wie er.

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