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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Schultern. Sie fuhr fort, jedes Wort deutlich betonend, als spräche sie mit einem etwas begriffsstutzigen Schüler:
    »Zweitens habe ich beschlossen, dass unsere Freundschaft sich weiterentwickeln muss. Da du weiter so tust, als würdest du nichts merken, sage ich es dir hiermit ganz offen: Du interessierst mich, Luigi Alfredo Ricciardi. Sehr sogar. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Mann mich derart gefangen genommen hat, und ich beabsichtige, unsere Bekanntschaft zu vertiefen.«
    Ricciardi wäre überall lieber gewesen als dort, wo er sich befand. Zu allem Überfluss hatte er auch noch den unangenehmen Eindruck, dass die Unterhaltung an mindestens vier der umstehenden Tische vollständig verstummt war, um ihnen zuzuhören. Ein paar Dinge mussten allerdings gesagt werden, und so tat er es.
     
    Er ist stehen geblieben und hat sich hingesetzt, dachte die junge Frau auf der anderen Straßenseite. Er scheint sich nicht wohlzufühlen, aber er hat sich gesetzt. Sie hat nach ihm gerufen, ist sogar aufgestanden, er hatte sie nicht einmal gesehen. Wie kann man so eine Frau denn übersehen? Was sie sich jetzt bloß sagen? Sie zählt etwas an den Fingern auf. Was zählt sie denn? Und was antwortet er ihr jetzt? Ihr wurde schwindelig, sie lehnte die Stirn an die Fensterscheibe. Enrica, alles in Ordnung?, fragte ihr Vater.Ja, sicher, antwortete sie, tränenüberströmt.
    Mir ging’s nie besser.
     
    »Weißt du, ich halte das für keine gute Idee. Neapel ist keine einfache Stadt, vor allem das Klima ist gewöhnungsbedürftig. Außerdem kennst du hier niemanden. Du müsstest dir einen ganz neuen Freundeskreis aufbauen, für eine alleinstehende Frau ist das nicht so einfach. Wo würdest du die Wohnung mieten? In welchem Viertel? Du bräuchtest Hilfe, jemanden, auf den du dich stützen kannst. Ich glaube nicht, dass ich der Richtige dafür bin. Das heißt, ich bin ganz sicher nicht der Richtige. Ich habe nicht viel Zeit, keine Freunde, es wäre bestimmt nicht …«
    Livia unterbrach ihn lachend, sie wollte fröhlich wirken, doch ihr Blick war traurig.
    »Wie gesprächig du auf einmal bist! Weißt du, dass ich dich noch nie so lange habe reden hören? Und nur, um mich davon zu überzeugen wieder fortzugehen. Na gut, mein Lieber, ich sag dir was: Es ist nicht meine Art, einfach so das Feld zu räumen. Je hartnäckiger du mir zu gehen rätst, desto stärker wird mein Entschluss sein, zu bleiben. Eines könntest du mir allerdings sagen, um mich loszuwerden. Bitte antworte mir ehrlich: Gibt es eine Frau in deinem Leben?«
    Die Zeit um Ricciardi herum blieb stehen. Die vier Männer an den Tischen ringsum hielten den Atem an; sie warteten ebenso bang auf seine Antwort wie Livia selbst. Zweimal öffnete er den Mund und schloss ihn wieder. Die Frage zu bejahen wäre eine Lüge gewesen, doch hätte er sich damit vielleicht endgültig aus der Affäre gezogen. Aber wollte er das? Livia war schön, fröhlich, leidenschaftlich. Sie gefiel ihm und ihre Nähe versetzte ihn in eine sonderbare Unruhe, die kein einfaches Unbehagen war. Guten Gewissens konnte er jedoch nicht behaupten, sein Herz sei frei.
    »Nein. Es gibt keine Frau darin. Aber … ich denke an jemanden. Sie weiß nichts davon, aber ich denke an sie.«
    Ihm war schwindelig, als er diese so wichtige und private Sache in dem übervollen Café preisgab. Er hatte den Eindruck, Fieber zu haben. Über Livias Gesicht huschte etwas wie ein Schatten und ihre Augen füllten sich mit Schmerz. Ricciardi fühlte sich, als hätte er sie geschlagen. Doch es dauerte nur einen Augenblick, denn gleich darauf erhob sie sich lächelnd.
    »Wenn das so ist, mein Lieber, werde ich kämpfen. Ich bin der Meinung, dass ich noch ein wenig Glück verdiene, und glaube, dass du dieses Glück besitzt, irgendwo ist es versteckt. Ich möchte es suchen, finden und es mir nehmen. Sag deiner Freundin, der Frau in deinem Herzen, sie soll ihre Koffer packen und sich darauf einstellen umzuziehen. Und nun entschuldige mich, ich habe zu tun: Ich muss mir eine Wohnung suchen.«
    Damit brach sie auf, von einem Dutzend Augenpaaren verfolgt.

    XLV    Wieder hatte Ricciardi sehr schlecht geschlafen. Er war versucht, sein Don Pierino gegebenes Versprechen nicht einzuhalten, um sich bei der Hitze nicht auch noch in ein hektisches Getümmel stürzen zu müssen – ihm stand nicht der Sinn danach zu feiern. Allerdings fühlte er sich dem kleinen Priester gegenüber verpflichtet undwollte ihn kein weiteres Mal

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