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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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haben.
    »Und was geschah mit der Frau? Schoss ihr jemand in die Stirn?«
    Ettore lachte.
    »Nein, das nicht. Man jagte sie aus dem Haus und das war’s. Sie hatte Glück, finden Sie nicht?«
    »Die Herzogin hatte nicht so viel Glück. Ihr war ein anderes Los bestimmt.«
    Die Miene des jungen Mannes verdüsterte sich.
    »Sie war ein Flittchen, Commissario. Ein dummes, niederträchtiges Flittchen, das allein seinen krankhaften Trieben folgte, ohne Rücksicht auf die Gefühle der anderen. Falls Sie Dank für die Auffindung ihres Mörders erwarten, wird er nicht von mir kommen. Vielmehr hat die Frau ihres Liebhabers mein aufrichtiges Mitgefühl: Sie hat das getan, was viele von uns hätten tun sollen, glauben Sie mir.«
    Ricciardi antwortete kühl:
    »Es steht weder Ihnen noch Sofia Capece noch irgendjemand anderem zu, darüber zu urteilen, ob ein Menschdas Recht hat zu leben oder nicht. Ganz egal, wie böswillig derjenige ist.«
    Der junge Herzog zuckte mit den Schultern und lächelte.
    »Wie Sie sehen, hat jemand sich dieses Recht dennoch herausgenommen. Sagen Sie, ich habe von Ihren … nächtlichen Spaziergängen erfahren und von einem gewissen Besuch in einem Haus in Ihrer Gegend. Auch von einem ausgiebigen Plausch.«
    Ricciardi nickte. Er hätte nicht gedacht, dass Ettore dieses Thema ansprechen würde und hatte sich die Frage auch gar nicht gestellt; es hatte schließlich nichts mit den Ermittlungen zu tun. Und doch spürte der Mann offensichtlich das Bedürfnis, darüber zu reden. Er fuhr nämlich fort:
    »In gewisser Weise bin ich fast erleichtert, darüber sprechen zu können. Ich verstehe Achille. Auch ich platze manchmal vor Verlangen, es zu erzählen. Wie alle … Verliebten, denke ich.«
    Ricciardi sagte:
    »Diese Sache geht mich nichts an, Musso. Ich musste verstehen, es mir erklären können, das ist alles. Die Mörderin ist gefunden und alles andere betrifft mich nicht.«
    »Ja, ich weiß. Und ich danke Ihnen für Ihre Feinfühligkeit. Aber da Sie nun schon einmal Bescheid wissen, lassen Sie mich reden. Wenn man seine Gefühle unter Verschluss hält, beginnen sie am Ende zu eitern und verseuchen den ganzen Körper. Ich war schon immer so, wissen Sie. Aber ich habe es nie jemandem gesagt. Mit den Kollegen von der Universität ging ich in die Bordelle, damit nicht geredet werden konnte, Andeutungen gemacht wurden. ZuHause erbrach ich mich dann stundenlang, aus Ekel. Mutter kam zu mir und streichelte mir den Kopf. Kommentarlos. Sie sagte nichts. Ich glaube jedoch, sie wusste alles. Eine Mutter spürt manche Dinge. Sie liebte mich trotz allem zärtlich. Mein Vater nicht. Vielleicht hätte er mich aber ohnehin nicht geliebt.«
    Ricciardi antwortete nicht; es gab nichts zu sagen. In der Hitze des Nachmittags, der sich bereits zum Abend hin neigte, hörte man das Surren der Insekten, und der Duft des Jasmins raubte einem die Sinne. Ettore fuhr fort:
    »Ich habe dagegen angekämpft, glauben Sie mir. Es ist nie etwas passiert. Ich verliebte mich in Freunde, Kollegen, kehrte der Liebe aber den Rücken. Ich floh, brach den Kontakt ab. Und ich hasste meinen Namen, dieses Haus, meinen Vater, der mir etwas aufzwang, das ich nicht war. Nur meine Mutter durchschaute mich. Ihre Zärtlichkeit … Doch dann wurde sie krank.«
    »Und Adriana kam ins Haus«, fügte Ricciardi hinzu.
    »Ja, richtig. Die Schlampe nahm den Platz meiner Mutter ein, noch bevor diese gestorben war. Wussten Sie, Commissario, dass sie zu meinem Vater ins Bett schlüpfte, obwohl meine Mutter noch lebte, sich mit den schrecklichen Schmerzen des Tumors quälte, der sie schließlich dahinraffte? Auch das mussten sie ihr noch antun. Die beiden herzlosen Bestien. Doch das Schicksal hat es ihnen heimgezahlt: Sie wurde erschossen und er stirbt sozusagen auf Raten.«
    Ricciardi schauderte es leicht. Das Grauen, das Ettores Hass in ihm hervorrief, war schlimmer als der Anblick manches Ermordeten.
    »Aber nicht Sie haben sie umgebracht.«
    Ettore schüttelte den Kopf.
    »Nein. Dazu fehlt mir die Kraft. Ich bin kein Mann der Tat. Ein Mann der Schrift bin ich, ein verflixter Theoretiker. Doch ich hasste sie, und wie ich sie hasste. An jedem einzelnen Tag wünschte ich mir ihren Tod. Sie hat fast augenblicklich versucht, mich zu verführen, es war ihre Art, Bündnisse zu schließen. Ich fand sie eines Nachts halbnackt in meinem Zimmer, kurz nachdem meine Mutter gestorben war. Wissen Sie, was sie tat, als ich sie rauswarf? Sie lachte. Zuerst war sie überrascht,

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