Der Sommer des Commisario Ricciardi
dem Sitzkissen liegend, fächelte sich mit dem Hut Luft zu.
»Seit wann bin ich denn dir Rechenschaft schuldig? Man glaubt’s nicht: In dieser Stadt bewegt sich noch kein Blatt am Baum, ohne dass alle es gleich erfahren. Ich frage mich, wie man als Polizist seine Arbeit machen soll auf diesem Rummelplatz. Aber du hast recht, ich bin hier, um zu hören, ob du mir was über die Herzogin erzählen kannst. Im Viertel scheint niemand was zu wissen, wie üblich, dabei wissen die Leute sonst alles.«
Bambinella ließ sich mit seiner Antwort Zeit.
»Ja, ja, die Herzogin … Sie hat ein Leben hinter sich,das vielen vorkommt wie ein Märchen. Nur dass ihre Geschichte, wie man sieht, kein gutes Ende genommen hat.«
»Wie meinst du das, wie ein Märchen?«
»Die Herzogin wurd’ ja nicht reich geboren. Sie war eine Soldatentochter, ihr Vater ist im Krieg gestorben. Aber schön war sie, wunderschön. Ich habe mal jemanden kennengelernt, den sie völlig um den Verstand gebracht hat, ein Seidenhändler, glaube ich. Aber sie hatte andere Pläne, wollte unabhängig bleiben, niemandem Dank schulden. Also ist sie Krankenschwester geworden.«
Maione versuchte, Bambinella nicht zu weit vom Thema abschweifen zu lassen.
»Gut, gut, aber wie kam es zur Heirat mit dem Herzog?«
»Das erzähl ich doch gerade, wenn Sie mir zuhören würden … Also, die erste Herzogin war eine echte Dame. Eine sehr tugendhafte Person. Und schrecklich fromm. Sie ging zu jeder Messe, half den Armen, eine richtige Lady eben. Dann ist sie krank geworden, eine schlimme Krankheit war das, Sie wissen davon, nicht? Angefangen hat’s mit Schwindelanfällen, einer Ohnmacht … Oh, geht’s Ihnen gut, Brigadiere? Sie sehen mir heute gar nicht munter aus …«
Von seinem Sitzkissen aus mimte Maione einen Tritt.
»Werd nicht frech und lass die Späße! Mir fehlt nichts, ich bin so munter wie ein Fisch im Wasser. Erzähl weiter.«
»Was sind Sie aber aufbrausend! Also, zur Pflege der Herzogin hat man die Krankenschwester Adriana hergeholt, eine wunderschöne und kerngesunde Frau. Die Krankheit hat sich lange hingezogen, am Ende ist die Herzogin dann gestorben. Und die Krankenschwester hat den Herzog geheiratet.«
»Wann war das genau?«
Bambinella führte seine lackierten Fingernägel zur Nasenspitze.
»Hm, lassen Sie mich nachdenken … vor etwa zehn Jahren.«
»Und wie verlief die Ehe?«
Bambinella zuckte mit den Schultern.
»Wie verlaufen schon Ehen, Brigadiere? Am Anfang gut, dann immer schlechter und am Ende schlimm, sehr schlimm. Zweckehen funktionieren ja meist besser als die anderen, weil jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Doch die arme Herzogin, Gott hab sie selig, hatte sich wohl verrechnet. Und als der alte Herzog auch noch krank wurde, hat sie sich nicht ins Haus verkrochen und die Leidende gegeben.«
Maione hörte aufmerksam zu.
»Was soll das heißen, sie hat sich nicht ins Haus verkrochen?«
Bambinella kicherte.
»Also manchmal sind Sie wirklich herzerweichend. Sie leben in dieser Stadt, sind Polizist und wissen doch nicht, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Aber dafür bin ich ja da, um Sie auf dem Laufenden zu halten. Sie sind wirklich nicht von dieser Welt, Brigadiere, Sie und Ihr hübscher stummer Commissario, den man nie lachen sieht.«
Maione schnaubte verärgert.
»Ach, von wegen! Jemand muss sich schließlich auch um die ernsten Dinge kümmern, anstatt sich dafür zu interessieren, wer es gerade mit wem treibt. Erzähl weiter.«
»Ganz einfach: Adriana lernt einen Mann kennen, derso ist wie sie: jung, fröhlich, intelligent und ehrgeizig. Die beiden verlieben sich. Die Affäre schadet ihm, weil seine Karriere darunter leidet. Und sie schadet ihr, weil niemand sie mehr empfangen will. Aber die beiden Turteltäubchen pfeifen drauf. Ihre Liebe ist ihnen genug. Das ist der Teil der Geschichte, der mir persönlich gefällt.«
Endlich fühlte Maione, dass sie sich dem Kern der Sache näherten.
»Und wer ist dieser Märchenprinz?«
»Mario Capece. Der Redakteur vom Roma . Der Kerl, der die Herzogin wohl am Ende abgemurkst hat.«
Wir werden uns nie wiedersehen.
Das ist alles, was ich fühle, woran ich denken kann.
Erinnerst du dich noch, wie wir uns kennenlernten, im Theater? Mitten in all dem Gerede war es auf einmal still. Ich hatte mich in deinen Augen verloren, deinem Lächeln. Spürte dieses Feuer in mir, das nie erlöschen sollte.
Wir werden uns nie wiedersehen. Unmöglich.
Dein Gesicht in meinen
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