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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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verrückte, lachende Stadt, und Livia fühlte sich wohl in ihr.
    Sie hätte nicht sagen können, wie sehr ihr Urteil davon beeinflusst wurde, dass es auch Ricciardis Stadt war, vermutete jedoch, dass die Erinnerung an den Kommissar eine wichtige Rolle spielte. Ihren ersten Tag hier wollte sie damit verbringen, das Schlachtfeld zu erkunden, bevor siezum Angriff überging. Sie überlegte sich, welches Kleid und welchen Hut sie tragen sollte.
    Dabei lächelte sie zufrieden vor sich hin.
     
    Maione hatte auf Ricciardis Geheiß die Kaufleute von Santa Maria La Nova abgeklappert. Es war nicht leicht gewesen, etwas herauszufinden. Nicht etwa weil die Leute nichts sagen wollten, sondern weil die Familie Musso di Camparino praktisch keinen Kontakt zu den Bewohnern des Viertels hatte.
    Der Herzog genoss wegen seiner Menschlichkeit und Großzügigkeit gegenüber den Wohltätigkeitsorganisationen große Achtung, doch er war schon seit über einem Jahr durch eine schwere Lungenerkrankung ans Bett gefesselt, und man erwartete jeden Moment die Nachricht seines Ablebens.
    Ettore, der junge Herr, lebte praktisch ausschließlich auf seiner Terrasse inmitten der Pflanzen, deren Pflege er mit Leidenschaft betrieb. Er schrieb Artikel für Zeitungen und Philosophiezeitschriften und war auf diesem Gebiet eine anerkannte Autorität. Es hieß, er gehe bisweilen abends aus, doch niemand war ihm jemals dabei begegnet.
    Die Herzogin dagegen war überall zugegen. Kein Fest, keine Veranstaltung oder exklusive Gesellschaft, bei der man sie nicht inmitten der Schar ihrer Bewunderer gesehen hätte. Die schöne elegante Dame stellte ihren Reichtum bei jeder Gelegenheit üppig zur Schau. Adriana Musso di Camparino war seit zehn Jahren mit dem Herzog vermählt; sie hatte seine erste Frau während ihrer Krankheit gepflegt, und nur achtzehn Monate nach deren Tod hatte der Herzog Adriana geheiratet. Maione spürte dieMissbilligung der Metzgerin, die ihm dies erzählte, weil man noch nicht einmal das Ende des zweiten Trauerjahres abgewartet hatte.
    Über die Dienerschaft dagegen geizte man im Viertel nicht mit Informationen. Concetta Sivo war eine freundliche und allseits geachtete Frau, stets aufmerksam beim Einkauf und umsichtig in der Haushaltsführung. Sie hatte keine Verwandten in der Stadt; alle paar Monate fuhr sie aufs Land, wo eine alte Tante und einige Cousins lebten. Wenn von den Sciarras die Rede war, lächelten alle – über ihn als eine komische Figur, über ihre Einfalt und die Gefräßigkeit der vier Kinder, die sich um jeden letzten Bissen stritten und regelmäßig durch die Läden der Umgebung streiften, um etwas Essbares zu erbetteln.
    Alles in allem also Leute, die ihrer Arbeit gewissenhaft nachgingen, aber leicht zu überlisten wären, falls jemand sich mit üblen Absichten ins Haus einschleichen wollte. An jenem Abend sei es auf dem Fest außerdem besonders laut und voll gewesen, den Abschluss habe ein ohrenbetäubendes, leuchtendes Feuerwerk gebildet. Maione schloss daraus, dass man bei dem Lärm noch nicht einmal eine Kanone gehört hätte, geschweige denn einen durch ein Kissen gedämpften Pistolenschuss.
    Nichts Interessantes also, dachte Maione. Mit einem traurigen Kopfschütteln beschloss er, seinen Besuch bei Bambinella vorzuziehen: Wenn es etwas zu erzählen gab, würde der es sicher wissen.
     
    Besorgt beobachtete Giulio Colombo, wie seine Ehefrau mit energischen Schritten näherkam. Es war nicht etwa selten, dass seine rigorose Gattin zu überraschenden Besuchen auftauchte; was ihn jedoch beunruhigte, war ihre finstere Miene, die er durchs Schaufenster hindurch sehen konnte.
    Der schöne Hutladen an der Ecke Via Toledo – Piazza Trieste e Trento nahe der Kirche San Ferdinando sicherte das Einkommen der Familie Colombo. In nunmehr dreißig Jahren hatte sich ein treuer Kundenstamm herausgebildet, der vom Inhaber selbst und drei Angestellten gewissenhaft gepflegt wurde. Zu Letzteren gehörte auch der Mann der jüngeren Tochter, ein tüchtiger, fleißiger Kerl. Der einzige Verdruss, den er seinem Schwiegervater, einem überzeugten Liberalen, bereitete, war seine Begeisterung für die faschistische Partei; Colombo hielt diesen gänzlich unkritischen Enthusiasmus nämlich für naiv und schon beinahe fanatisch.
    Gerade diskutierten sie über die immer häufiger stattfindenden nächtlichen Streifzüge der Schlägerkommandos, die unter dem Deckmantel des Faschismus rohe Gewalttaten begingen, als Giulio die Ankunft seiner Frau

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