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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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jemandem zu verabschieden. Er schubste sogar meine Frau zur Seite, benahm sich wirklich flegelhaft. Die Arme, fast wäre siehingefallen. Die Herzogin hingegen ging sich frischmachen, um kurz darauf in ihrer Loge zu erscheinen und mit einigen Kavalieren zu scherzen, die sich beeilt hatten, Capeces Platz einzunehmen. So war sie einfach.«
    »Und Capece wurde nicht mehr gesehen?«
    Garzo zog die Stirn in Falten und versuchte sich zu konzentrieren.
    »Nein, zumindest habe ich ihn nicht mehr gesehen. Gestern Morgen allerdings, als noch keiner wusste, was geschehen war, hat mir der Ober im Circolo dell’Unione gesagt, dass er am Samstagabend bis spät in die Nacht dort gewesen sei, getrunken und wirres Zeug geredet habe. Dann sei er gegangen.«
    Ricciardi wollte noch mehr Details erfahren.
    »Was hat er denn geredet? Und zu welcher Uhrzeit ist er aufgebrochen?«
    Garzo schien ein wenig in Bedrängnis zu sein.
    »Der Klub schließt um Mitternacht. Und Capece sagte … er sagte, dass manche Frauen es nicht wert seien zu leben. Bitte! Aber das hat nichts zu sagen; was wird nicht alles geredet, nicht wahr, Ricciardi?«
    Der Kommissar sah seinen Vorgesetzten an, ohne zu antworten.
    »Wie dem auch sei, Ricciardi, ich lege Ihnen nahe, ja ich bitte Sie, dies eine Mal niemandem bloß aus Vergnügen auf die Füße zu treten. Die Presse ist darin verwickelt und vielleicht nicht nur die. Auch bei der Befragung der Familie müssen Sie vorsichtig sein. Der Herzog ist sehr betagt und krank, er liegt im Sterben; trotzdem bleibt er einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer der Stadt. Und der Sohn des Herzogs, Ettore … er ist in der Gesellschaft sehr geschätzt und hochangesehen, ein kultivierter, gelehrter Mann.«
    Ricciardi merkte, dass bei dem Gespräch außer Ermahnungen und Ratschlägen nichts Nützliches mehr herauskommen würde.
    »Ist gut, Dottore. Vielen Dank für diese äußerst nützlichen Informationen. Ich werde sorgsam damit umgehen. Und Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten. Jetzt gehe ich ins Leichenschauhaus, Doktor Modo hat versprochen, mir die Autopsieergebnisse schon vorher mitzuteilen. Wenn Sie also keine weiteren Anweisungen haben … Guten Tag.«
    Damit ließ er den ratlosen Garzo allein zurück.

    X    Von ihrem Balkon im dritten Stock des Hotel du Vésuve aus genoss Livia den Blick auf die Via Partenope. Vor ihren Augen sprangen die Jungs und Mädchen von den Felsen und den Mauern des Kastells, das seit Jahrhunderten dort über dem Wasser ruhte, ins unbewegte Meer.
    Am Tag zuvor hatte sie bei ihrer Ankunft im Bahnhof Chiaia sofort den freundlichen Empfang der Stadt gespürt. Sie hatte die Mitfahrangebote mindestens dreier Männer lächelnd ausgeschlagen, von denen einer sich sogar bereit erklärt hatte, sie bis ans Ende der Welt zu bringen; sie war nachsichtig mit den Kindern gewesen, die sie augenblicklich umzingelt und nach ein wenig Geld, einem Bonbon oder einer Zigarette gefragt hatten. Die Szene erinnerte sie an eine Diskussion, die sie vor wenigen Wochen mit einem reichlich arroganten Geschäftsmann in Rom geführt hatte: Er hatte sich so herablassend über dieStraßenjungen geäußert, die am Hafen und am Bahnhof in Scharen auf die Touristen warteten, um sie anzubetteln oder zu bestehlen, dass sie ihm geantwortet hatte, Schuld an der Bedürftigkeit der Kinder seien allein die Machthaber der Stadt. Sie selbst würden die Kinder stets heiter stimmen – jedenfalls heiterer als manch gähnend langweilige Gesellschaft in Rom. Bei der Erinnerung an die betretene Stille, die sich daraufhin auf die versammelte Menge herabgesenkt hatte, musste sie nun unwillkürlich grinsen; niemand hatte sich getraut, einer Dame zu widersprechen, die sowohl mit der Frau als auch mit der Tochter des Duce gut befreundet war.
    Livia hatte eine der typischen rot-gelben Droschken mit drei Sitzen gemietet und den Kutscher geheißen, noch eine Stadtrundfahrt zu machen, bevor er sie ins Hotel brachte. Sie wollte sich erst wieder mit den Straßen und Plätzen vertraut machen, die sie damals vom eiskalten Winterwind gepeitscht und unter so traurigen Umständen kennengelernt hatte. Jetzt regierten dort Sonne und Fröhlichkeit, fliegende Händler, die lautstark ihre Waren anpriesen, Straßenmusikanten und lächelnde Frauen, herrliche Schaufensterauslagen und Kinder, die zwischen Autos und Straßenbahnen mit Bällen aus zusammengewickelten Lumpen auf spontan entstandenen Fußballfeldern spielten. Es war eine

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