Der Sommer des Commisario Ricciardi
– eine reine Überlebensfrage. Zu deiner Klientin also: eine wunderschöne Frau, hat sich sehr gut gehalten trotz ihres Alters von schätzungsweise Anfang vierzig. Richtig?«
»Zweiundvierzig, um genau zu sein. Jahrgang neunundachtzig, geboren am fünfzehnten Januar.«
»Der Körper eines Mädchens, glaubt mir. Ich kann verstehen, dass sie den Männern den Verstand geraubt hat, wie es heißt. Gut, sprechen wir zuerst über die Kugel. Ihrhabt’s gesehen, der Schuss wurde durch das Kissen abgegeben: Ich hab Stoffstückchen und sogar Teile von Federn im Gehirn gefunden, längs dem Schussweg bis zur Rückenlehne des Sofas. Fraktur des Stirnbeins, des Hinterhauptbeins et cetera. Und ganz sicher schlug ihr Herz noch, als sie getroffen wurde.«
Angesichts dieser Umschreibung beugte Ricciardi sich vor.
»Was willst du damit sagen, ihr Herz schlug noch?«
Modo kicherte mit vollem Mund.
»Schön, wenn man einen aufmerksamen Zuhörer hat. Ich will sagen, dass die Herzogin klinisch gesehen noch lebte. Aber eben nur klinisch gesehen.«
»Und das heißt?«
»Der Mörder hat ihr das Kissen auf Mund und Nase gedrückt, wahrscheinlich, damit sie nicht schreien konnte. Die Frau war bereits dabei, zu ersticken. Sie befand sich praktisch im Todeskampf.«
Maione war beeindruckt.
»Verzeihung, Dottore, aber wie haben Sie das herausgefunden? Anhand der Lunge, des Rachens …?«
Modo schüttelte den Kopf.
»Nein, gar nicht anhand der inneren Organe. Man sieht es am Gesicht, den roten Flecken um den Mund und auf dem Hals zum Beispiel. Und ein paar kleineren Flecken auf der Innenseite der Augenlider. Sie entstehen, weil beim Ringen nach Luft Adern und Kapillare platzen. Das ist typisch fürs Ersticken.«
Ricciardi überlegte.
»Wenn sie aber erstickt ist, wie konnte sie dann klinisch noch am Leben sein, als der Mörder auf sie schoss?«
Modo zuckte mit den Schultern und verschlang weiterhin genüsslich seine Makkaroni al Forno.
»Der Mörder wollte offensichtlich ganz sichergehen. Wenn man jemanden tötet, ist man sich der Endgültigkeit dessen, was man da tut, nicht zwangsläufig bewusst. Vielleicht hat er geglaubt, erkannt worden zu sein. Oder er wollte sehen, ob seine Pistole auch funktioniert. In jedem Fall haben die beiden sich einen hübschen Kampf geliefert.«
Nun war es an Maione, überrascht zu sein. Nur mit Mühe den Blick von der Soße hebend, in die der Doktor gerade ein Stück Brot tunkte, sagte er:
»Wie ist das möglich? Es sah doch so aus, als ob die Herzogin schläft.«
Modo, der seinen Teller komplett leergeputzt hatte, lehnte sich mit einem breiten Lächeln zurück.
»Das hätten Sie nicht erwartet, oder? Die Herzogin wurde wieder zurechtgemacht und zum Kopfschuss schön hübsch aufs Sofa gelegt. Die Autopsie hat diesmal wirklich einiges enthüllt. Jedenfalls ist alles sehr schnell gegangen. Die Frau ist zwischen Mitternacht und zwei Uhr gestorben, in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Daran besteht kein Zweifel.«
Du hättest nicht lachen dürfen. Hättest du nicht gelacht, hätte ich es nicht getan. Ich habe dich geliebt. Hätte dir niemals wehgetan.
Du hast meinen Schmerz, meine Verzweiflung nicht verstanden. Vielleicht habe ich dich nie besessen; aber für mich hast du zu mir gehört, seit wir uns begegnet sind. Ich sehe dein Lächeln, höre deinen Atem in meinen Armen.
Und dann diese Qual! Zu merken, wie die Männer dich ansahen, dir zulächelten. Zu spüren, wie du dich für andere interessiertest und versuchtest, alle in deinen Bann zu ziehen. Ohne Achtung, ohne jede Rücksicht auf mich. Ich hätte alles ertragen, nur um dich bei mir zu haben. Weil ich dich liebte.
Aber du hast gelacht. Du hast mich ausgelacht. Da hab ich die Nerven verloren.
Ricciardi fragte:
»Was hast du sonst noch entdeckt?«
Modo nahm seine Hand zu Hilfe und zählte an den Fingern ab.
»Erstens: zwei gebrochene Rippen. Jemand hat ihr etwas gegen den Brustkorb gedrückt, wahrscheinlich damit sie stillhielt. Ein Knie vielleicht. Oder etwas anderes. Zweitens: vier abgebrochene Fingernägel, an beiden Händen. Keine Hautreste, also hat sie versucht, jemandes Kleider oder Ähnliches zu packen. Drittens: die linke Hand befindet sich in einem merkwürdigen Zustand. Am Ringfinger ist eine ordentliche Schramme, blutig: Jemand hat ihr offenbar mit Gewalt einen Ring abgezogen. Der Mittelfinger wurde ausgerenkt, aber ohne Blutergüsse. Jemand muss nach ihrem Tod an dem Finger gerissen haben, vielleicht um ihr noch
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