Der Sommer des Commisario Ricciardi
auf Sie, auf beide; er sagt, Sie sollen zu ihm kommen, bevor Sie wieder aufbrechen.«
Als ob Ponte gar nicht da wäre, sagte Maione:
»Gehen wir jetzt gleich hin, Commissario. Sonst verdresche ich den Kerl noch.«
Sie folgten dem Amtsdiener bis zum Büro des Vizepräsidenten, der sie an seinem Schreibtisch erwartete.
»Mir ist bekannt, dass Sie als nächstes zur Zeitung wollen.«
Das Fehlen jeder Höflichkeitsfloskel verriet Garzos Beunruhigung.
»Jawohl, Dottore. Wir waren heute Morgen im Hause Camparino und sprachen mit …«
»… dem Herzog und seinem Sohn, wie ich hörte. Ich habe auch erfahren, dass Sie, wie leider so oft, sehr indiskret und unhöflich waren. Ist es denn nötig, Ricciardi, dass ich mich pausenlos wiederhole? Und mich wirklich jedes Mal hochrangige Persönlichkeiten anrufen, die sich über Ihren Mangel an Respekt beklagen?«
Garzo beendete seine Tirade mit einem Faustschlagauf den Schreibtisch, um deutlich zu machen, dass er wütend war. Der einzige, der jedoch zusammenzuckte, war Ponte, der im Türrahmen stehen geblieben war. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Maione sah Ricciardi mit gerunzelten Brauen an. Sein Blick versprach nichts Gutes: Er schien nur auf ein Zeichen des Kommissars zu warten, um Garzo an den Hals zu springen. Als Ricciardi sprach, kam seine Stimme einem Zischen gleich.
»Ich wiederhole noch einmal, was ich Ihnen bereits sagte, da Sie es anscheinend nicht verstanden haben: Es steht Ihnen frei, die verflixten Ermittlungen jemand anderem zu übergeben. Doch solange ich sie führe, stecken Sie Ihre Nase nicht in meine Angelegenheiten. Wenn wir den Schuldigen nicht finden, tun Sie, was Sie für richtig halten. In der Zwischenzeit aber verbitte ich mir jede Kritik an meinem Vorgehen.«
Ricciardis Sätze waren kaum mehr als ein Flüstern gewesen, wirkten jedoch wie ein Gewehrschuss in der Kirche. Ponte zog den Kopf ein, als habe er einen Knall gehört. Maione sah Garzo mit demselben gereizten Ausdruck an wie sein Vorgesetzter. Der Vizepräsident war wie versteinert, als hätte Ricciardi ihn unvermittelt geohrfeigt. Der Kommissar hatte noch nicht einmal die Hände aus den Taschen genommen; die rebellische Haarsträhne fiel ihm in die Stirn und sein Blick war starr auf Garzo gerichtet, ohne ein einziges Wimpernzucken.
Nach einer Weile, die ihnen wie eine Ewigkeit erschien, kam Garzo wieder zu Atem:
»Ich sage ja nicht, dass … selbstverständlich wissen Sie, was Sie tun. Dennoch denke ich, dass es mein Vorrecht ist, Sie beim Umgang mit … bestimmten Personen um einMindestmaß an … ach, verflixt: Ich bin nun einmal ihr Vorgesetzter, und der Blödsinn, den Sie anstellen, fällt auf mich zurück. Ich darf, ich muss Sie bitten, vorsichtig zu sein! Der Herzog ist, wie gesagt, sehr krank; aber sein Sohn erfreut sich bester Gesundheit, und er verkehrt in … hat sehr einflussreiche Freunde. Äußerst einflussreiche Freunde. Und die Presse … die Presse ist und bleibt mächtig, auch nach den jüngsten Anweisungen.«
Ricciardi konnte an diesem Tag kein Mitleid mit Garzo haben. Es war zu viel passiert.
»Die Macht der Presse interessiert mich nicht. Selbst wenn die Herzogin vom Zeitungsdirektor höchstpersönlich ermordet worden wäre, würde ich ihn in Handschellen zu Ihnen bringen. Danach können Sie selbst entscheiden, was Sie mit ihm anfangen. Das ist meine Aufgabe und die erfülle ich. Kann ich jetzt gehen?«
Auf Garzos Hals zeichnete sich genau über der Krawatte ein großer roter Fleck ab, wie immer, wenn zwei gleich starke und einander entgegengesetzte Kräfte ihn machtlos machten. Einerseits würde er Ricciardi die Ermittlungen nur zu gerne entziehen und ein saftiges Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten, andererseits drängte der Polizeipräsident auf eine rasche Aufklärung des Mordfalls Camparino, der in Neapel in aller Munde war. Selbstverständlich überwog die zweite Notwendigkeit, denn sie nützte seiner Karriere am meisten. Er konnte es sich jedoch nicht verkneifen, eine letzte Stichelei loszuwerden.
»Von einem Menschen ohne jedes Privatleben kann man natürlich kein diplomatisches Feingefühl erwarten. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Doch ich versichere Ihnen, wenn Sie den Fall nicht aufklären, wird Ihnen all das, was Sie hier und jetzt gesagt haben, noch leidtun. Sehr leid.«
Darauf wedelte er kurz mit der Hand, als ob er eine Fliege vertreiben wollte. Maione tat einen Schritt nach vorn: Vielleicht war das endlich die Gelegenheit, seinem
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