Der Sommer des Commisario Ricciardi
Die ich gut kannte. Nehmen Sie sich in Acht, Ricciardi, und sprechen Sie nicht in diesem Ton, hören Sie. Die Frau hat … hatte einen Namen, ihr Name war Adriana Musso Herzogin von Camparino. Und ich kannte sie nicht, ich liebte sie. Nicht dass ich damit rechnen würde, Sie, ein schäbiger kleiner Polizist und Junggeselle, würden das verstehen. Aber ich liebte sie.«
Nun wurde es Maione zu bunt, Ricciardi hin oder her. Er sprang auf, beugte sich zu Capece herab, den er in Größe und Statur deutlich überragte, und legte beide Hände flach auf den Schreibtisch.
»Jetzt hören Sie mal gut zu, Capece: Wagen Sie es noch einmal, so mit dem Commissario zu sprechen, und ich verpasse Ihnen eine Ohrfeige, dass Sie Ihren Rausch nicht mehr auszunüchtern brauchen. Behandeln Sie uns mit Respekt, dann behandeln wir Sie auch so. Wenn nicht, plaudern wir im Präsidium weiter und Ihre Kinder können Sie demnächst im Knast besuchen. War das klar genug?«
Capece und Maione standen sich eine halbe Minute lang gegenüber und schauten sich direkt ins Gesicht. Ricciardi beobachtete den Redakteur; er fragte sich, ob seine Reaktion seinem Charakter oder seiner Verzweiflung geschuldet war. Ersteres, entschied er, allerdings unter Vorbehalt.
Zu guter Letzt setzte sich der Mann, und nach ihm der Brigadiere. Überraschenderweise lächelte Capece:
»Sie haben ja doch Schneid! Und sind nicht nur mutig, wenn Sie zu viert oder zu fünft sind. Also gut, behandeln wir uns mit Respekt. Dann antworte ich Ihnen: Ja, ich kannte sie. Und habe sie nicht umgebracht. Auch wenn sie, was ich mir nie verzeihen werde, durch meine Schuld gestorben ist.«
Ricciardi hakte nach:
»Durch Ihre Schuld, wie meinen Sie das?«
Capece lächelte bitter, sein Blick ging ins Leere.
»Sie werden bereits wissen, dass wir uns Samstagabend im Salone Margherita gestritten haben. Sicher hat man’s Ihnen gesagt; Garzo, Ihr unfähiger Chef, war auch dort, ich erinnere mich an sein Gesicht und daran, wie dämlich er dreinblickte. Ein Geplänkel unter Verliebten. Aber ich verfluchter Idiot bin davongerannt und hab zugelassen, dass sie allein nach Hause ging oder sich von wer weiß wem begleiten ließ. Sie war so, wissen Sie, sie überlegte nicht lang. Dann hat man sie umgebracht.«
Während er sprach, hatte er zu weinen begonnen, ohne es zu merken. Tränen rannen ihm über die Wangen, stumm und unaufhörlich wie das Blut aus einer nicht heilen wollenden Wunde. Maione, dem der Hinweis auf Garzos Unfähigkeit sehr gefallen hatte, reichte ihm ein Taschentuch.
Ricciardi fuhr fort:
»Und wohin sind Sie gegangen?«
»Mich betrinken. Zuerst im Circolo dell’Unione, danach in einem Weinkeller und dann in noch einem, zuletzt am Bahnhof, im letzten noch offenen Lokal. Ich war alleindort, das wollten Sie doch wissen, oder? Niemand kann es bezeugen. Und, ob Sie’s glauben oder nicht, es interessiert mich nicht.«
XXI Du wartest allein in der Küche. Weißt, dass er vielleicht nicht zurückkommen wird. Damit musstest du rechnen.
Du wusstest es, als du sahst, wie er sie ohrfeigte und ging. Du weißt wohin und was er dort tat. Weißt auch, dass der Verdacht zuerst auf ihn fallen wird.
Es ist heiß, sehr heiß. Auf Stirn und Lippen bilden sich kleine Schweißtropfen. Du wischst sie ab, damit sie dir Frisur und Schminke nicht verderben.
Du hast dich für ihn schön gemacht, falls er doch noch kommt. Falls sie ihn gehen lassen. Falls nicht, hat er’s so gewollt, es drauf ankommen lassen. Eigentlich musste es so enden, wie auch sonst?
Jetzt sitzt du hier und wartest. Nicht zum ersten Mal. Wie oft hast du nachts wach gelegen, die Ohren gespitzt, um zu hören, wie ein Schlüssel sich im Schloss dreht. Eine Heimkehr ersehnt, die nicht stattfand.
Aber diesmal ist es anders. Ob er nun kommt oder nicht – heute ist ein neuer Tag.
Ricciardi brach das Schweigen, das auf die letzte Aussage gefolgt war.
»Weshalb haben Sie sich gestritten?«
Capece lächelte.
»Ich sagte es schon: Ein Geplänkel unter Verliebten. Aus Eifersucht. Sind Sie je eifersüchtig gewesen, Commissario? Ich vermute nicht. Sie sind ja für Ihr Alleinsein bekannt, nicht? Haben weder Frau noch Verlobte. Nicht einmal Freunde, wie es heißt. Schon gut, ich weiß: Wir reden nicht über Sie. Nun, die Eifersucht also. Ein Monster, das den verschlingt, der es entstehen lässt … Adriana war schön, wunderschön. Die Fotos, die Sie vielleicht von ihr gesehen haben, werden ihr nicht gerecht, und auch nicht
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