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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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ihre armseligen Überreste. Ich will gar nicht wissen, was sie mit ihr gemacht haben, sagen Sie nichts. Ein Pistolenschuss heißt es. Mehr brauche ich nicht zu wissen.«
    Der Kommissar kam auf sein ursprüngliches Thema zurück.
    »Was war der Grund für Ihr ›Geplänkel‹, wie Sie es nennen?«
    Capece zögerte, dann sagte er:
    »Da war dieser Kerl, ein Jungspund, der irgendeine alte Schachtel begleitete. Ein Gigolo. Vielleicht auch ihr Neffe, was weiß ich. Er sah sie an, schaute immer wieder zu Adriana, während ich so tat, als folgte ich der Aufführung. Dabei ließ es mir keine Ruhe; ich sah zu ihm, zu ihr. Als sie es merkte, erwiderte sie seine Blicke. Einmal, zweimal. Dreimal. Und lächelte – Sie können sich nicht vorstellen, wie schön sie aussah. Adriana wusste um ihre Schönheit, es machte ihr Spaß, Katz und Maus zu spielen, darin konnte sie sehr grausam sein.«
    Als er den Abend im Theater schilderte, veränderte sich Capeces Tonfall. Ein Kiefermuskel zuckte unkontrolliert, die rechte Hand öffnete und schloss sich abwechselnd zu einer Faust. So ein Mann, dachte Maione, ist zu allem fähig. Ricciardi fragte:
    »Und Sie?«
    »Ja ich … Ich habe mich beherrscht, solange ich konnte. Dann bin ich ausgerastet, weil ich es nicht mehr aushielt. Eifersucht ist etwas Schlimmes, Commissario. Sie drückt einem den Magen zusammen wie ein Schraubstock. Sie bereitet körperlichen Schmerz und gewährt einem keine Verschnaufpausen.«
    Maione hatte den Eindruck, als sei Ricciardi bei diesen Worten blass geworden; er berührte sich flüchtig mit der Hand am Bauch. Vielleicht hatte er Verdauungsbeschwerden. Capece fuhr fort:
    »Aber ich hätte ihr nie etwas antun können. Ich weiß, es klingt absurd: Ich hätte sie eigenhändig erwürgen wollen, und doch hätte ich ihr nie etwas antun können. Ich weiß nicht, wie Sie mir glauben können, aber es stimmt.«
    Der Kommissar wollte auf etwas anderes hinaus. Er wollte wissen, was mit dem Ring geschehen war; die Stimme der toten Herzogin war so deutlich, als säße sie in seinem Kopf:
    »Der Ring, der Ring, du hast den Ring weggenommen.«
    Daher fragte er:
    »Was ist dann passiert?«
    »Wir begannen zu streiten. Ich verlangte von ihr Rechenschaft für ihr Verhalten, sie lachte. Lachte mich aus vor diesem Jüngelchen, vor allen. Je mehr sie lachte, desto wütender wurde ich. Schließlich habe ich sie ins Gesicht geschlagen. Ich habe sie geohrfeigt, so«, und er ahmte den Schlag nach, den er der Frau versetzt hatte. »Sie hörte auf zu lachen und sah mich voller Hass an. Darauf habe ich ihr den Ring weggenommen und bin gegangen.«
    »Welchen Ring?«
    Capece steckte verwirrt die Hände in die Taschen.Dann zog er aus seiner Westentasche einen goldenen Ring mit einem kleinen Diamanten und legte ihn auf den Tisch.
    »Er ist nicht sehr wertvoll. Aber er war ein Liebesbeweis, ich schenkte ihn ihr, als … als wir uns kennenlernten, zu einer besonderen Gelegenheit. Ich sagte, dass sie nicht wert sei, ihn zu tragen, und riss ihn von ihrem Finger. Ich glaube, ich habe ihr auch wehgetan.«
    Ricciardi hatte Capece bei seiner Antwort genau beobachtet. Mehr noch als die Worte interessierten ihn dabei die Gefühle, die eindeutig zwischen Liebe und Hass schwankten.
    »Was wissen Sie darüber, wie sie getötet wurde? Sie sprachen von einem Schuss, das ist allgemein bekannt. Als Redakteur kennen Sie sicher auch die sonstigen Details. Was glauben Sie, wer es gewesen ist?«
    Capece schwieg und starrte ins Leere. Nach einer Weile fuhr er fast flüsternd fort.
    »Als ich anfing zu arbeiten, war mein Beruf noch anders. Ganz anders; jedenfalls mehr, als Sie glauben würden. Man konnte erzählen, kommentieren. Ein Reporter recherchierte und durfte darüber sprechen, manchmal arbeiteten wir auch mit der Polizei zusammen. Doch dann wurde beschlossen, die Welt sei sauber, es gebe keine Verbrechen mehr. Ein Beschluss, der am grünen Tisch gefasst wurde und rein gar nichts mit der Realität zu tun hat. Anfang des Jahres ’26 traf ein telegrafisches Rundschreiben ein, wir nennen sie Durchschläge, niemand hat es groß beachtet. Ich erinnere mich, dass wir in der Redaktion darüber lachten, sehr herzlich lachten, man hatte »die Abstellung der Berichterstattung über Verbrechen und Unfälle« verfügt. Als ob es möglich wäre, sich an den Telegrafen zu setzen und mit dem Zeigefinger die Abgründe der menschlichen Seele aus der Welt zu schaffen. Vor drei Jahren dann, am 26. September ’28, wurden wir vom

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