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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Ärger über Hunger, Hitze und den Obstverkäufer Luft zu machen. Doch Ricciardi legte ihm die Hand auf den Arm und sie verließen den Raum. Ponte schloss leise die Tür hinter ihnen.
     
    Allmählich wurde ihm bewusst, dass jemand beharrlich an seine Tür klopfte. Er war an seinem Schreibtisch eingeschlafen, den Kopf auf den Arm gelegt, eine halb leere Likörflasche direkt vor seiner Nase. Während er langsam aus dem Nebel des Schlafes auftauchte, versuchte er sich zu erinnern.
    Dann überschwemmte es ihn wie eine Welle, erneuerte den glühenden Schmerz, den er im Alkohol ertränkt hatte. Er war allein in seinem Büro. Hörte die Geräusche der Redaktion, die Zusammensetzung der Nachrichten, das Tagesgeschäft der Zeitung; aber es war nicht wie sonst, die Betriebsamkeit tröstete ihn nicht. Nichts würde ihm je wieder Trost spenden. Weil Mario Capece für immer alles verloren hatte, was ihm etwas bedeutete, die Liebe seines Lebens. Und das Schlimmste war, dass er selbst die Schuld daran trug.
    Die unbekannte Hand schlug noch immer gegen den Türrahmen, von dem Lärm platzte ihm der Schädel. Er brüllte: »Herein, verflucht!«
    Die Klinke wurde heruntergedrückt, und ihm fiel ein,dass er abgeschlossen hatte. Er stand auf und trat zur Tür, um aufzuschließen, in seinen Schläfen ein stechender Schmerz. Sterben, dachte er, das wär’s. Eine Ader, die platzt, und vorbei ist alles Leiden. Vielleicht stimmt es ja, was die Priester sagen, und ich sehe dich wieder, meine Liebste.
    Vor der Tür stand Arturo Dominici, sein stellvertretender Chefredakteur; die Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Mario, ist alles in Ordnung? Wir haben dich gesucht. Hast du wieder hier geschlafen?«
    Capece reagierte unwirsch.
    »Ja, ja. Ich war nirgends. Was willst du, was ist los?«
    Dominici sprach leise und blickte dabei verstohlen nach hinten.
    »Es sind zwei … die Polizei ist da, ein Polizist in Uniform und einer in Zivil. Sie wollen zu dir.«
    Mario lächelte müde.
    »Na endlich. Sie haben sich Zeit gelassen, fast zwei Tage. Lass sie reinkommen.«
    »Möchtest du, dass ich dabei bleibe? Als Zeuge, meine ich.«
    Capece sah seinen Freund mit festem Blick an: Er schätzte sein Angebot, da er wusste, dass auch Dominici ihn des Mordes an Adriana für schuldig hielt.
    »Nein, Arturo. Das ist nicht nötig. Falls doch, rufe ich dich. Danke.«
    Ricciardi und Maione betraten das Büro in dem Augenblick, als Capece das Fenster öffnete. Das Zimmer war heiß wie ein Backofen und stank wie eine Weinschenke, nach abgestandener Luft und Alkohol. Sie stellten sichvor, und Capece bat sie, sich zu setzten. Nachdem sie Platz genommen hatten, nahm Maione seine Personalien auf; der Redakteur antwortete mit leicht belegter Stimme und hielt dabei die Augen aufgrund seiner Kopfschmerzen halb geschlossen.
    Capece war nicht groß, doch seine Offenheit und Unbefangenheit verliehen ihm etwas Eindrucksvolles. Als Reporter war er sehr angesehen; dass er gegenüber den Mächtigen nicht kuschte und sie nach eigenem Ermessen freiheraus lobte oder kritisierte, hatte ihm die Wertschätzung der Leute, doch auch die Feindschaft der Fanatiker eingebracht. Sein schwacher Punkt war das Verhältnis mit Adriana gewesen; es war die Waffe, derer man sich bedient hatte, um ihm seine wohlverdiente Karriere zu verwehren.
    Der Mann, den Ricciardi und Maione nun vor sich hatten, war jedoch ein anderer Mario Capece. Er trug einen Dreitagebart, seine Krawatte war aufgebunden, das Hemd hing ihm halb aus der Hose, an der nur noch ein Hosenträger befestigt war, und seine Weste stand offen: all dies Zeichen für den Zustand seelischer Erschöpfung, in dem er sich befand. Trotzdem klang nun Hohn aus seinen Worten:
    »Sie sind also der berühmte Commissario Ricciardi. Der Einzelgänger im Polizeipräsidium, der Mann, der keine Karriere machen möchte. Der das Verbrechen so unnachsichtig bekämpft. Ich bin über Sie im Bilde, wissen Sie? Ihr Werdegang ist interessant. Ihre Vorgesetzten fürchten Sie, und Ihre Untergebenen auch. Es heißt, Sie bringen Unglück.«
    Maione wollte ihm gerade eine passende Antwort geben, doch Ricciardi hielt ihn zurück.
    »Sehr interessante Informationen. Pech allerdings, dass wir heute nicht hier sind, um über mich zu sprechen, sondern über Sie, Capece. Und insbesondere über den Tod einer Frau, die Sie, wie man sagt, gut kannten. Stimmt das?«
    Capece schnellte hoch wie eine Feder, die Augen funkelnd vor Zorn.
    »Der Tod einer Frau, sagen Sie.

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