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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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dem Herrenhaus getragen wurde. Auf Bitte des Herzogs war die Andacht von Don Pierino in der Familienkapelle gehalten worden, wohin man den Leichnam am frühen Morgen aus dem Leichenschauhaus gebracht hatte. Den Wartenden würde also auf dem kurzen Weg von der Pforte zum Wagen ein letzter Gruß gestattet sein, und später auch entlang der Strecke, die der Trauerzug bis zum Friedhof von Poggioreale zurücklegen würde.
    Die große Kirche auf dem Platz zog mit dem düsteren Klang ihrer regelmäßig ertönenden Totenglocken die Aufmerksamkeit auf sich.
    Ricciardi schaute sich um. Ganz vorn entdeckte er den Präfekten und den Polizeipräsidenten mit ihren Frauen inmitten anderer städtischer Würdenträger. Dicht bei ihnen, zwar ein kleines Stück weiter hinten, doch nicht zu übersehen, stand Garzo. Die Blicke der beiden Männer trafen sich für einen kurzen Moment, doch das genügte Ricciardi, um einen stummen Vorwurf ob seiner unpassenden Anwesenheit aufzufangen. Der Kommissar erwiderte Garzos Blick, ohne zu grüßen.
    In der Nähe des Wagens standen an die Hauswand gelehnt und sogar bis zum Portal der gegenüberliegenden Kirche viele Blumenkränze; ihre schwarzen Bänder trugen die Namen der Familien, die der Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen.
    Maione, der wie immer halb zu schlafen schien, beobachtete konzentriert, wie die Menge, die in unterschiedlichen Gruppen zusammenstand, sich verhielt. Diejenigen, die weinten und echten Schmerz empfanden, die meisten von ihnen jung und gut gekleidet, mussten wohl die Gefährten der Herzogin bei ihren zahlreichen Vergnügungen gewesen sein, die treibenden Kräfte des Nachtlebens der vornehmen Gesellschaft. Es waren nicht viele. Betreten und verlegen, schwarz gekleidet und mit ausdrucksloser Miene sah man die Leute, die mit ihrer Anwesenheit den alten Herzog und seine Familie ehrten, die Würdenträger und den höchsten Stadtadel. Hinter ihnen scharte sich die unvermeidliche Masse der Neugierigen, angezogen von den Skandalgeschichten, die sich um die Herzogin rankten, und ihrem grauenvollen Ende.
    Der Brigadiere hielt nach Capece Ausschau, entdeckte ihn aber weder in den vorderen Reihen, was verständlich war, noch in der Menge. Vielleicht hatte er sich nicht dazu in der Lage gefühlt – Maione konnte es ihm nachempfinden.
    Aus der offenen Hälfte des Hauseingangs trat Don Pierino nach draußen, er trug ein Trauergewand und wurde von zwei Ministranten begleitet. Ihm folgte der Sarg aus bemaltem dunklem Holz, den vier Totengräber auf ihren Schultern trugen. Der Priester segnete ihn, bevor er mit sichtlicher Mühe in den Wagen gehoben wurde. Die schon hochstehende Sonne verbreitete eine unerträgliche Hitze.
    Nun wurde der Herzog, der aussah wie eine zweite Leiche, in einem Rollstuhl aus dem Tor geschoben. Seine unnatürliche Blässe, der furchtbar magere Hals, um den der Hemdkragen schlackerte, die dürren Glieder und der abwesende Gesichtsausdruck waren noch eindrücklichere Vorboten des Todes als der Wagen, die Pferde und der Sarg. Der schwarze Anzug, den er das letzte Mal vor seiner Krankheit getragen hatte, ließ auf seinen früheren Körperbau schließen und darauf, wie sehr das Leiden ihn ausgezehrt hatte.
    Sein Gefährt wurde von Concetta gelenkt, die wie stets eine imposante Erscheinung bot und schweigend und gleichmütig einherschritt. Einen Schritt hinter ihr ging das Ehepaar Sciarra – sie weinend und mit auf den Mund gedrücktem Taschentuch, er sehr ernst, mit gramerfülltem Blick. Die riesige Nase und seine zu große Kleidung verliehen ihm in diesem tragischen Kontext etwas Anrührendes. Sofort bildete sich eine Schlange angesehener Persönlichkeiten, die dem Herzog die Hand drückten und ihm kurz ihr Beileid bekundeten. Ricciardi und Maione hatten beide den Eindruck, dass alle – wegen der Hitze, aber auch wegen der Stimmung – es kaum erwarten konnten, sich zu entfernen.
    Dann geschah etwas, das noch Monate später für Gesprächsstoff sorgen sollte: Auf der Türschwelle erschienEttore, weiß gekleidet, mit Spazierstock und roter Krawatte. Der ebenfalls weiße Strohhut spendete seinem perfekt rasierten Gesicht Schatten, unter dem schmalen Schnurrbart zeigte sich ein breites Lächeln. Ettore trug kein Zeichen der Trauer, weder Armbinde noch schwarzen Knopf im Knopfloch, wo er stattdessen eine herrliche Gardenie zur Schau stellte. Er richtete einen freundlichen Gruß an den Präfekten, der dem Herzog gerade seine Ehrerbietung erwies, und schlenderte pfeifend

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