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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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davon.
    Hätte man eine Bombe mitten auf den Platz geworfen, die Reaktion hätte nicht stürmischer sein können. Lautes Stimmengewirr erhob sich, das Don Pierino, der vor dem Sarg in ein Gebet vertieft war, auffahren ließ; der Pastor drehte sich verwirrt um, und als er Ettore davongehen sah, zeichnete sich auf seinem regsamen Gesicht eine tief empfundene Traurigkeit ab. Sogar ein kurzes Lachen war aus den hinteren Reihen zu hören; der Verantwortliche wurde jedoch gleich darauf barsch zur Ordnung gerufen.
    Ricciardi, dessen Beobachtungsposten nicht weit vom Eingangstor entfernt war, erhaschte einen raschen Blick zwischen Concetta und Mariuccia, als ob die beiden in etwas bestätigt worden wären, was sie sich zuvor gesagt hatten.
    Der Leichenzug, der die Herzogin auf ihrer letzten Spazierfahrt begleiten sollte, formierte sich. Entschlossen unterbrach Concetta die an den Herzog gerichteten Beileidsbezeugungen und schob ihn zurück ins Haus. Der Ausdruck des Mannes hatte sich die ganze Zeit über nicht verändert; Ricciardi dachte, dass er völlig erschöpft sein musste. Hinter dem Wagen stellten sich gemeinsam mit Don Pierino und den beiden Ministranten die EheleuteSciarra und ein altes Paar entfernter Cousins der Herzogin auf, danach kamen die Würdenträger und das Volk. Als die Tür der Karosse geschlossen war, kletterte der Kutscher auf seinen Sitz und knallte mit der Peitsche. Das Orchester spielte Chopins Trauermarsch und die Pferde setzten sich in Bewegung, ihre Schritte folgten dem Rhythmus der Musik.
    Ricciardi und Maione trennten sich und mischten sich einige Meter hinter den ersten Reihen unter die Menge, um dort die halblaut geäußerten Bemerkungen zu sammeln. Diese bezogen sich zum größten Teil auf die Familie Camparino, die soeben von Ettore gegebene Vorstellung, den armen Herzog und die ihm noch verbleibende kurze Lebenszeit. Es fehlte auch nicht an Werturteilen über die Herzogin, die im Vergleich mit der ersten Frau des Herzogs stets den Kürzeren zog.
    Ricciardi fiel zudem auf, dass viele sich fragten, wo Mario Capece war, was er wohl machte. Und ob und wann er die Stirn haben würde, auf der Beerdigung zu erscheinen.

    XXV    Ich bin bei dir, mein Schatz. Werde dich den ganzen Weg begleiten, so lang wie möglich in deiner Nähe sein.
    Ich werde bei dir bleiben, weil du für mich nicht tot bist und nie sterben wirst. Weil ich nicht eine Minute länger leben kann, wenn es dich nicht mehr gibt. Ich trage dich in meiner Seele, sie ist dein Zuhause. Niemand kann dich mir wegnehmen: weder die Pferde, noch die Musik, noch all die geheuchelte Trauer auf den Gesichtern der anderen.
    Was wissen die schon von deinem Lächeln, deinenWorten, unserer Liebe? Was wissen die von meinem Schmerz und der Last, die ich trage?
    Ich verstecke mich in der Menge, damit niemand mich erkennt, niemand zu mir kommen kann, um mir zu sagen, ich sei hier fehl am Platz.
    Mein Platz ist hier: in deiner Nähe.
    Versuchte jemand, mich fortzuschicken, ich brächte ihn eigenhändig um.
     
    Der Leichenzug sollte dem Corso Umberto folgen und sich schließlich auf der Piazza Nicola Amore auflösen. Eine ziemlich lange Strecke, vor allem unter der brennenden Sonne. Bei jedem Schritt der acht Pferde schrumpfte die Menge, die allmählich erkannte, dass die Aufführung, der nun die Hauptdarsteller fehlten, keine weiteren Überraschungen bereithalten würde.
    Als die Trauergemeinde vorbeizog, schlossen die noch offenen Geschäfte ihre Türen, die Frauen bekreuzigten sich und die Männer führten salutierend die Hand zum Hut. Vielleicht weckte die Herzogin mehr aufrichtiges Mitleid bei den Unbekannten, die ihren Sarg flankierten, als bei denjenigen, die aus purer Förmlichkeit teilnahmen, dachte Ricciardi. Unter den vielen Menschen, die den Trauerzug vom Straßenrand aus grüßten, befand sich auch ein alter Bekannter des Kommissars, der tot geschlagene Alte, aus dessen zerfleischtem Mund mit den eingeschlagenen Zähnen zusammen mit einem Schwall Blut die Worte drangen:
    »Ihr Narren, ihr seid doch bloß vier armselige Narren. Vier gegen einen, ihr solltet euch schämen, ihr Narren.«
    Ricciardi, der sich nicht nach der toten Gestalt umsah,schätzte die düstere Ironie des Satzes, wenn man ihn auf die Beerdigung bezog. Sehr viele für einen, wie wahr. Und wahr ist auch, dass die meisten von ihnen Narren sind, dachte er und betrachtete aus etwa zehn Metern Entfernung die beginnende Glatze am Hinterkopf des Vizepräsidenten Garzo.
    Als

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