Der Sommer des Commisario Ricciardi
Durchsuchungsbefehl liegt morgen früh auf Ihrem Schreibtisch. Und noch etwas … Danke.«
Als sie Garzos Büro verließen, konnte Maione sich nicht mehr zurückhalten.
»Also diesmal hätten Sie den Ärmsten fast umgebracht. Aber was sollte das mit der anderen Affäre? Ich hab schon verstanden, dass Sie sich das ausgedacht haben, aber wozu? Es kann höchstens ein, zwei Tage dauern, bis sogar ein Trottel wie Garzo dahinter kommt, dass es keinen Dritten gibt.«
Ricciardi sah rasch nach hinten, um sicherzugehen, dass ihnen niemand zuhörte. Bei Leuten wie Ponte konnte man nie wissen.
»Ich hatte keine andere Wahl: Ich musste mitziehen. Sonst hätte er uns gefesselt und geknebelt, und wir hätten uns nicht mehr rühren können. Ich habe aber das Gefühl, dass bei Ettore und Capece bald wirklich irgendetwas rauskommen wird. Deine Nachricht von heute, die von der Pistole in Capeces Wohnung, ist unser einziges konkretes Indiz, wir müssen in jedem Fall hin, um nachzusehen. Es war wirklich die einzige Möglichkeit.«
Maione nahm seinen Hut ab und kratzte sich am Kopf.
»Was soll ich da noch sagen? Sie haben das Richtige getan. Und Gott sei uns gnädig.«
Sofia Capece schnitt Zwiebeln und dachte dabei an Tiere. Genauer gesagt an Pflanzenfresser.
Sie dachte, dass auch die sanftmütigsten Tiere, diejenigen am Ende der Nahrungskette, die am wenigsten aggressiven, ohne Klauen oder Stoßzähne, gefährlich und gewalttätig werden konnten. Und zwar dann, wenn ihren Jungen Gefahr drohte. Die Weibchen waren es, denn sie waren dazu bestimmt, die Art zu erhalten, hatten sich darum zu kümmern, Junge auf die Welt zu bringen und zu beschützen, mussten auch die Fehler der Männchen ausbügeln, die sich auf die Jagd oder zu anderen nichtigen Unternehmungen begeben und Bau oder Höhle unbewacht zurückgelassen hatten.
Sie war entschlossen, ihr Haus und ihre Kinder zu verteidigen. Konnte nicht zulassen, dass ein Fehler des Vaters die Zukunft der Familie aufs Spiel setzte. Es war ihre Pflicht, der Duce selbst hatte das oft gesagt.
Während sie das Abendessen für ihre Kinder und ihren Mann vorbereitete, der wahrscheinlich auch an diesemAbend nicht nach Hause kommen würde, lächelte Sofia bei dem Gedanken daran, dass das gefährlichste aller Tiere letztendlich das Weibchen war. Das Männchen tötet, kämpft, brüllt. Das Weibchen verteidigt. Denn das Männchen mochte stark sein, das Weibchen aber war schlau.
Enrica schnitt Zwiebeln und ärgerte sich über ihre eigene Dummheit.
Vielleicht hatte ihre Mutter recht, wenn sie sagte, die Lebensaufgabe einer Frau bestehe darin, einen Mann zu finden und Kinder zu bekommen. Dass es nichts bringe, auf die große Liebe zu warten, weil das, was wirklich zähle, ein eigenes Heim und ein tüchtiger, zuverlässiger Partner seien. Vielleicht könnte Sebastiano in seiner oberflächlichen Beschränktheit, bar jedes Zaubers oder Geheimnisses, ihr ein solcher Partner sein, der sie nie im Stich ließ: ein solider Kaufmann der Via Toledo, wie es auch ihr Vater war.
Und doch entdeckte Enrica keinerlei Gemeinsamkeit zwischen Fiore und ihrem Vater: Der eine war großzügig, ein Visionär, hatte eine fortschrittliche, liberale politische Einstellung und ein ausgeprägtes Ehrgefühl; der andere dachte nur an unnützes Zeug und schien ihr auch nicht besonders fleißig zu sein.
Welche Alternative hatte sie? Instinktiv sah sie hinüber zu dem dunklen Fenster auf der anderen Straßenseite. Ein einsamer, rätselhafter Mann mit einer schwierigen, gefährlichen Arbeit, von allen gefürchtet und vielleicht sogar gehasst. Wahrscheinlich verlobt mit einer Frau, wie sie im Film vorkommen könnte – als Geliebte eines Gangsters.
Nein, ganz sicher hatte ihre Mutter recht: Es würdebesser sein, mit Sebastiano weiterzumachen und Ricciardi zu vergessen.
Mit dem Ärmel wischte sie sich die Tränen weg. Blöde Zwiebeln, dachte sie.
Lucia Maione weinte und lächelte zugleich, während sie die Zwiebeln schnitt. Ihre Tränen kamen von dem beißenden Geruch, der vom Teller aufstieg, auf dem sie die dünnen Scheibchen anhäufte, das Lächeln war ihrem Mann geschuldet.
Ihr war aufgefallen, dass er jetzt aufs Essen achtgab, wie sie ihn gebeten hatte. Sicher hatte er verstanden, wie wichtig seine Gesundheit für sie war, damit er ihr auch noch die nächsten fünfzig Jahre erhalten blieb. Ohne ihn konnte sie nicht leben. In den Jahren, in denen sie sich ausschließlich ihrem Schmerz hingegeben hatte, hätte sie
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