Der Sommer des Commisario Ricciardi
über die untragbaren Ermittlungsmethoden der Polizei zu schreiben, die ohne jeden Beweis, ich wiederhole: ohne jeden Beweis, sogar in Zeitungsredaktionen eindringt. Verstehen Sie jetzt? Ein Artikel in der Zeitung! Und durch Ihre Schuld, Ihre und die Ihres treuen Begleiters hier!«
Er endete, indem er auf Maione zeigte. Dabei blieb ihm fast der Atem weg. Er war wahrhaftig außer sich. Ricciardi antwortete im selben Ton wie zuvor, als würde er seinem Vorgesetzten einen Kaffee anbieten.
»Ich bin sehr froh, dass Sie uns zu sich bestellt haben, Dottore. Hätte ich gewusst, dass Sie sich zu dieser Stunde, was sehr ungewöhnlich ist, noch im Büro befinden, wäre ich selbst hergekommen, um mit Ihnen zu reden. Ich benötige eine Genehmigung von Ihnen.«
Garzos Augenlider flatterten, als ob er gerade aus einem schlimmen Traum erwacht wäre.
»Eine Genehmigung? Was denn für eine Genehmigung?«
»Die Genehmigung, Mario Capeces Wohnung zu durchsuchen und seine Familie zu vernehmen. Sie wis-sen: Mario Capece, der Chefredakteur der Tageszeitung Roma .«
Heilige Mutter Gottes, dachte Maione. Der kriegt gleich einen Herzinfarkt. Und tatsächlich schien es Garzo nicht gutzugehen. Er erbleichte sichtlich, taumelte zwei Schritte rückwärts, tastete mit der Hand nach der Armlehne seines Sessels und ließ sich mit einem dumpfen Geräusch senkrecht hineinfallen. Er rang ergebnislos nach Luft, atmete schließlich ein und wieder aus. Dann sagte er schwach:
»Was heißt das, Capeces Wohnung? Sie haben wohl nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich habe doch gerade gesagt …«
»Ich weiß, was Sie gesagt haben. Bei den heutigen Ermittlungen haben sich allerdings einige wichtige Punkte ergeben. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Herzogin von Camparino kürzlich eine Affäre begonnen hat. Noch eine Affäre.«
Garzo atmete nur mit Mühe.
»Noch eine? Mit wem?«
Ricciardi kannte kein Mitleid.
»Den Namen kann ich Ihnen noch nicht sagen, aber die Person bekleidet eines der höchsten Ämter der Stadt.«
Garzo fühlte sich, als wäre er angeschossen worden. Eines der höchsten Ämter? Doch welches? Gleich mehrere Kandidaten zogen an seinem geistigen Auge vorbei: der Präfekt, ein betagter Mann mit besten Verbindungen zur Regierung, der direkt vom Duce ernannte Hohe Kommissar, der Polizeipräsident, der nur auf einen falschen Schritt von ihm wartete, um sich eines gefährlichen Konkurrenten zu entledigen.
Ricciardi und Maione meinten das Gehirn des Vizepräsidenten fieberhaft arbeiten zu hören. Eine Katastrophe, eine furchtbare Katastrophe zeichnete sich ab. Sobald er der Ansicht war, dass sein Vorgesetzter die Tragweite des Problems erfasst hatte, fuhr Ricciardi fort:
»Wenn es uns also nicht rechtzeitig gelingt, Capece als möglichen Schuldigen auszuschließen, oder aber ihm die Straftat zweifelsfrei zuzuschreiben, wird er nicht umhin können zuzugeben, dass die Szene neulich abends aus Eifersucht auf das neue Verhältnis der Herzogin stattgefunden hat. Und den Namen seines … des anderen Mannes zu nennen.«
Garzo sprang auf, als hätte ihn jemand mit einer Nadel in den Hintern gepiekt.
»Nein! Niemals! Das darf auf keinen Fall geschehen, Ricciardi. Sie verstehen das doch, oder? Auf so etwas warten die ja bloß, um mich … um uns in unserer Freiheit einzuschränken. Was gedenken Sie zu tun, damit es nicht soweit kommt?«
Ricciardi zuckte aufs Neue mit den Schultern, die Hände noch immer in den Hosentaschen. Sein Ton wurde noch vager.
»Nun, ich weiß auch nicht. Wenn wir zum Beispiel die Tatwaffe fänden, könnten wir Capece vielleicht festnehmen, ohne das Thema zu berühren. Ihm selbst würde es ja nichts nützen, die Identität seines Konkurrenten preiszugeben; wie’s scheint, hatte er schließlich oft genug Grund zur Eifersucht, warum sollte er sich also bei einem Prozess mächtige Feinde machen? Und falls wir sie nicht finden, könnten die Ermittlungen in eine andere Richtung laufen: Vielleicht ist er ja gar nicht der Mörder.«
Garzo dachte kurz über die möglichen Folgen dessen, was Ricciardi gesagt hatte, nach. Und sah Licht am Ende des Tunnels. Auf seinem Gesicht erschien ganz allmählich ein breites Lächeln. Nichtsdestoweniger blieb auf seinem Hals ein großer roter Fleck zurück.
»Ja. Sehr richtig. Genau. Gut, Ricciardi, Sie haben die Genehmigung. Machen Sie es so. Aber sorgen Sie um Himmels willen dafür, dass niemand etwas erfährt von … von dieser anderen Sache. Niemand. Nie. Der
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