Der Sommer des glücklichen Narren
Buch, das Sie geschrieben haben?«
»Das einzige unter diesem Namen. Die anderen sind unter Pseudonym erschienen. Hier.« Ich wies auf die Bände, die daneben standen.
»Oh«, meinte sie anerkennend, »das sieht schon besser aus. Fünf Stück im ganzen.« Sie zog eines der Bücher heraus. »Darf ich? Welches würden Sie mir empfehlen?«
»Sie sind alle gleich schlecht. Und Sie sind in keiner Weise genötigt, etwas davon zu lesen. Man soll die Höflichkeit nicht zu weit treiben.«
»Ich möchte aber«, sagte sie eigensinnig, klemmte sich das Buch unter den Arm und nahm es mit auf den Liegestuhl.
Da lag sie dann und las und sprach eine Stunde lang kein Wort.
Ich blinzelte ein paarmal zu ihr hinüber. Sie war ernst und konzentriert und, wie ich mir schmeichelte, auch gefesselt. Was sie da las, war ein Roman, der teilweise im Krieg und zum anderen Teil in der Nachkriegszeit spielte und von einem jungen Mann handelte, der mit sich selber und der Zeit und daher auch mit seiner Liebe zu einem Mädchen nicht fertig wurde und ein recht verqueres Leben führte. Ich hielt das für mein zweitbestes Buch. Sie hätte es schlimmer treffen können.
Es mochte so gegen zwölf Uhr sein, als sie aufblickte und mich eine Weile prüfend betrachtete.
»Da stehen ganz gescheite Sachen drin«, sagte sie.
»So?« fragte ich bescheiden.
»Ja. Hier zum Beispiel. ›Das sind die schlimmsten Wunden, jene, die wir uns selber schlagen. Weil wir sie nicht heilen lassen und mit dem stumpf gewordenen Schwert eines vergangenen Kampfes immer wieder darin bohren. Ein Schwert, das uns die Eitelkeit, ein lächerlicher Stolz und die Enttäuschung über unerfüllte Träume in die Hand drückt.‹«
»Hm«, machte ich. Das ›Bohren‹ in dem Satz gefiel mir immer noch nicht. Erst hatte ich ›wühlen‹ geschrieben, aber das klang so pathetisch. Aber ›bohren‹ war auch schlecht.
Sie blätterte zurück auf die Titelseite und las den Titel laut: »›Der Tag nach dem Gestern.‹ Das ist eigentlich gut. Dieser Verlag, bei dem Ihre Bücher erscheinen, den kenne ich gar nicht.«
»Das glaube ich gern. Das ist nur ein kleiner Verlag, der so wenig bekannt ist wie ich, der Autor. Ich weiß auch nicht, warum der Mann immer wieder meine Bücher herausbringt. Reich wird er damit nicht.«
»Waren Sie sehr unglücklich, als Sie das schrieben?«
»Unglücklich? Nö, eigentlich nicht. Ich habe mich halt zeitentsprechend unbehaglich gefühlt. Im Grunde bin ich ein heiterer Mensch.«
»Das ist schön«, sagte sie, das Buch im Schoß, und blickte hinauf zu den Wipfeln der Tannen, die am Rande der Lichtung stehen.
»Haben Sie Ihre Frau sehr geliebt?« fragte sie plötzlich.
»Ja«, antwortete ich.
»Und Sie lieben sie noch?«
Und ich sagte: »Ich glaube, ja.« Dann dachte ich mir, daß dies eine dumme Antwort gewesen war. Was sollte das? Rosalind war fort, und alles war vorbei, und daher konnte ich sie auch nicht mehr lieben.
Sie richtete sich auf und stellte die Beine auf den Boden.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie leise, »es ist ungehörig, solche Fragen zu stellen. Es ist überhaupt blödsinnig, was ich hier treibe. Liege in der Sonne und kümmere mich um nichts, anstatt daß ich sehe, wie ich weiterkomme. Gehe ich Ihnen sehr auf die Nerven?«
Ich richtete mich ebenfalls auf, sah sie an und sagte: »Sie wissen genau, daß Sie mir nicht auf die Nerven gehen und daß ich mich freue, daß Sie hier sind. Oder glauben Sie, es ist schön, immer allein herumzusitzen?«
»Vielleicht wollen Sie arbeiten.«
»Das kann ich morgen auch noch. Das kann ich jeden Tag. Zeit ist das einzige, was ich im Überfluß habe.«
»Zeit«, sagte sie, »hat niemand im Überfluß. Das Leben ist verdammt kurz.«
Ich nickte. »Auch ein schöner Satz. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich ihn in einem meiner Bücher verwenden.«
Sie lachte. »Ich glaube nicht, daß ich damit etwas besonders Originelles gesagt habe.«
»Die wenigsten Schriftsteller schreiben etwas Originelles. Ist auch schwierig, weil alles schon mal gesagt oder geschrieben worden ist. Aber wenn man etwas hinschreibt, was wahr ist, dann beeindruckt es die Leute doch, wenn sie es gedruckt lesen.«
Sie stand plötzlich auf. »Und wie komme ich nun wirklich nach München hinein?«
»Sie haben einen Zug kurz nach zwei und einen um halb sechs.«
»Und wie weit ist es von hier bis zur Bahn?«
»Zu laufen etwa eine Stunde.«
»Donnerwetter. Dann müßte ich ja bald gehen, wenn ich den Zwei-Uhr-Zug erreichen
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