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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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des Eismeeres herangejagt, wie es im Juni in nördlichen Ländern manchmal geschieht. Aber an einen so mächtigen Temperatursturz konnte Claes sich nicht erinnern. Vor ihm galoppierte Kosjan über den regenschweren Boden, er ritt wie ein weit jüngerer Mann, und als habe er sein Leben lang nichts anderes getan.
    Claes hatte so viele Fragen: Wieso war Gerlinde zu Bocholt gegangen? Hatte Oswald auch Stedemühlen getötet? Und was hatte Billkamp mit alledem zu tun? Wohin ritten sie, wohin brachte Oswald Rosina? Er würde sich gedulden müssen. In seiner Seele kämpften heftige Gefühle miteinander. Das Entsetzen über Annes Worte, die unerschütterliche Liebe, die er für sie fühlte, die Sorge um Rosina. Und Christian? Wusste er von Oswalds Schuld? Hatte er für seinen Freund aus Kindertagen gelogen? Waren die Menschen, die er liebte, alle so anders, als er glaubte, so unberechenbar?
    Nebel zog auf, wurde immer dicker und nahm die Sicht. Claes schob seine Zweifel beiseite. Er brauchte nun alle Kraft für diesen Ritt, wohin der auch immer führen mochte.
     
    Anne zitterte. Sie sehnte sich danach zu weinen, immer noch steckte der Schrei in ihrer Kehle, das Entsetzen über die Worte, die sie ihm entgegengeschleudert hatte, als er schwach war und ihre Hilfe brauchte. Aber ihre Augen blieben trocken, der Schrei war in ihrem Körper gefangen. Sie spürte wieder seine Arme um ihren Körper, seine warmen Hände um ihr Gesicht, als er flüsterte, dass nichts sie trennen könne, und begriff endlich doch, wie er damals gewesen war. Wie er immer noch war.
    «Madame?» Elsbeth stand schüchtern in der Tür und hielt ein Tablett mit dampfendem Wein in ihren Händen. «Trinkt das, es wird Euch stärken und die Ruhe geben, die Ihr nun braucht. Bitte, Madame.»
    Anne nickte und nahm mit einem vorsichtigen Lächeln das Glas entgegen.
    «Kleine Schlucke», befahl Elsbeth, die schon ein wenig von ihrer vertrauten Resolutheit zurückgewonnen hatte. «Es wird sicher eine ganze Weile dauern, bis er zurück ist», fügte sie hinzu. «Aber er wird Rosina finden, und beide werden, noch bevor der Morgen kommt, gesund und sicher wieder hier sein.»
    An der Tür drehte sie sich noch einmal um. «Wenn Ihr mich braucht», sagte sie sanft, «ruft mich. Blohm und ich werden auch auf den Herrn warten.»
    Sie schloss leise die Tür, und als sie das befreite Schluchzen ihrer Herrin hörte, nickte sie zufrieden und ging zurück in ihre stille Küche.
    Anne trank den Wein, in kleinen Schlucken, wie Elsbeth befohlen hatte, und fühlte die stärkende Wärme in ihrem Körper und in ihrer Seele. Immer noch wetterleuchtete es über dem Garten, und sie wünschte sich, ein Mann zu sein. Wäre sie ein Mann gewesen, hätten sie sie mitgenommen.
    Und dann hörte sie ein Geräusch, sie sprang auf, lauschte, schwere Hufe klapperten auf dem Hof. Sie riss die Tür auf, rannte in die Diele und hörte eine helle Stimme.
    «Schnell, Elsbeth», rief die Stimme, «ich muss sofort Monsieur Herrmanns sprechen. Ich weiß jetzt, wer die Männer getötet hat.»
    Sie erkannte zuerst die Stimme. Dann die Gestalt, die atemlos und mit aufgelöstem Haar von einem dicken schwerfälligen Pferd sprang. Rosina stand vor ihr, und Anne wusste, dass Kosjan gelogen hatte, und im gleichen Moment wusste sie auch, warum.
     
    Als Rosina plötzlich in der Diele des Gartenhauses stand und aufgeregt nach Claes Herrmanns fragte, fürchtete Elsbeth, Madame Herrmanns, die sich doch gerade erst von ihrem bösen Streit erholte, werde gleich in Ohnmacht fallen. Sie stand kreidebleich in der Tür zum Salon und starrte die seltsam verkleidete Rosina an wie einen Wassergeist.
    Aber Anne fiel nicht in Ohnmacht. «Schnell», rief sie, «der Wagen. Wir müssen ihnen nach. Wir müssen sie einholen.»
    «Das schaffen wir nicht», sagte Blohm, den der Lärm in die Diele gelockt hatte. «Die haben schnelle Pferde. Aber kann sein, ich weiß, wo sie hin sind. Kann auch nicht sein, aber ich glaube doch.»
    «Wohin, Blohm?»
    «Er hat was vom Fluss gesagt, Madame. Als ich ihn nicht reinlassen wollte. Dass Oswald auf dem Fluss ist. Es gibt da Inseln, tückische Dinger, man weiß nie, wann sie unter Wasser sind und wann nicht. Ich weiß, wo das ist, und vielleicht …»
    «Jetzt ist keine Zeit für vielleicht, Blohm. Ruf Benni und spannt schnell an. Und du, Elsbeth, nimmst den anderen Wagen und fährst in die Stadt. Mach Tee. Und stell Suppe aufs Feuer. Wenn wir zurückkommen, wird er hungrig sein.»
    «Mach viel

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