Der Sommer des Kometen
noch Rosina wagten, Blohm zu fragen, warum er glaube, dass diese Inseln das richtige Ziel seien. Das geheimnisvolle Wissen des Alten war ihre einzige Hoffnung. Er hätte auch kaum antworten können, er wusste es einfach. Vor vielen Jahren hatte er Claes, der noch ein Kind war und sich weit östlich der Stadt verirrt hatte, aus den Sümpfen gerettet. Seit jener Nacht lebte er nicht mehr in den Marschen, sondern im Haus der Herrmanns, und war Claes nah wie ein Schatten. Selbst als der nach London in die Lehre ging, hatte Blohm es mit stiller Beharrlichkeit geschafft, ihn dorthin zu begleiten.
Er wies Rosina die Richtung zu Roosens Tranbrennereien am Fuß des Steilufers nicht weit von Altona. Der Weg erschien ihnen endlos, aber dort, so wusste Blohm, lagen immer Boote.
Er hatte recht gehabt. Sie nahmen das kleinste. Es war halb voll Wasser, aber sie fanden bei den Tranbrennereien zwei alte lederne Schöpfeimer, und schließlich waren sie auf dem Fluss. Das Rudern war schwer, und Rosina bemerkte erstaunt, dass auch Anne kräftige Arme hatte und am besten mit dem Ruderboot umzugehen verstand. Sie wusste nicht, dass Anne es seit ihrer Kindheit geliebt hatte, auf die Bucht von St. Aubin hinauszurudern, ohne das erstickende Korsett und mit den weit ausholenden kraftvollen Bewegungen, die einer Dame an Land nicht erlaubt waren.
Sie ruderten stromaufwärts, es war trotz des auflaufenden Wassers harte Arbeit, aber sie wechselten sich ab. Blohm wies die Richtung, auch jetzt fragten sie ihn nichts. Sein Ziel war das Einzige, das sie hatten. Der Nebel war dichter geworden. Schließlich stieg die erste Insel vor ihnen aus dem Wasser. Sie war leer, nicht mal ein dürres Gebüsch hatte hier Wurzeln geschlagen.
«Claes!», rief Anne. Bevor sie ein zweites Mal rufen konnte, legte Rosina ihr schnell die Hand auf den Mund.
«Nicht rufen, Anne», flüsterte sie. «Wir müssen leise sein, Kosjan soll nicht wissen, dass wir hier sind.»
Wer weiß, was er dann tut?, dachte sie. Aber diese Sorge sprach sie nicht aus. Sie tauchte die Riemen wieder ins Wasser und lenkte das Boot zurück in den Fluss. Es gab noch viele andere Inseln.
Claes kletterte steifbeinig aus dem Boot – das Wasser reichte fast bis an seine Knie –, und versuchte zu erkennen, was ihn erwartete. Die flache Insel, nicht mehr als eine Sandbank mit ein paar grünen Büscheln und einigen Flecken niedrigen Weidengestrüpps, schien kaum größer als die Diele seines Hauses im Neuen Wandrahm. Aber vielleicht wurde der Rest nur im Nebel verschluckt.
«Ihr werdet zwar ganz bestimmt
nicht
mit in diesem Boot zurückfahren», hörte er Kosjan hinter sich sagen, «aber da Ihr es dennoch hofft, werdet Ihr mir gewiss helfen, es weiter auf den Sand zu schieben, damit es mir nicht heimlich davonschwimmt.»
«Und nun?», fragte Claes atemlos, als das Boot einige Fuß höher auf dem Sand lag. «Was sieht Euer Plan nun vor?»
«Ich würde Euch gerne ein wenig fürstlicher bewirten, so wie ich es dort, wo ich die letzten Jahrzehnte verbracht habe, gewöhnt bin. Aber leider», er breitete die Arme aus und sah sich bedauernd um, «ich kann Euch nicht einmal einen Diwan bieten. Setzt Euch. Dort in den Sand.» Er zeigte auf das Weidengebüsch.
Claes sah sich um und dachte fieberhaft nach. Er musste jetzt handeln, vielleicht war das die einzige Gelegenheit, er musste ihn niederschlagen, in das Boot springen und zurückrudern, irgendwo würde er schon an Land kommen. Aber er wartete zu lange, er war nicht gewohnt, zuzuschlagen, und bevor er auch nur einen Entschluss fasste, hörte er wieder Kosjans Stimme.
«Setzt Euch», wiederholte der, und als Claes sich zu ihm umdrehte, sah er eine alte, mit Silber belegte Pistole in Kosjans Hand. «Kommt nicht auf leichtfertige Gedanken. Mit einem Loch in der Brust könnt Ihr erst recht nicht schwimmen.»
Claes blickte verblüfft auf die Waffe. «Ihr wart der Mann, der mich in dem Gang hinter der Steinstraße gerettet hat?»
Der andere nickte. «Dumm von mir, nicht wahr?»
«Und nun? Wollt Ihr mich jetzt auch töten?»
Wieder lachte Kosjan dieses leise, spöttische Lachen, und diesmal wurde Claes wütend. Er hatte diesen Mann in sein Haus geladen, er hatte ihn mit seinen Freunden bewirtet und, schlimmer noch, er hatte ihn gemocht. Er fühlte sich betrogen, und das Spiel, das Kosjan mit ihm spielte, demütigte ihn zutiefst.
«Ihr seht grimmig aus», hörte er Kosjan weitersprechen. «Einer wie ich, der schon zwei andere Männer getötet
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