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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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neugieriger Freund, mit welcher soll ich beginnen?»
    Er zog langsam die Riemen durch das schwarze Wasser und fuhr fort: «Ich wusste, dass Ihr gefährlich klug seid, und glaube, es wird Zeit, Euch endlich ganz aufzuklären. Zunächst: Vergesst Eure Sorge um die entzückende und gewiss äußerst talentierte Komödiantin. Ich bin sicher, sie schläft tief und friedvoll in ihrem eigenen Bett und träumt vom Glanz ihrer nächsten Premiere. Vielleicht auch von Euch, wer weiß? Auch ist es wahrscheinlich, dass Oswald in seinem Bett liegt, ich hoffe, mit seiner glücklichen Frau. Die beiden …»
    «Wer seid Ihr?!»
    «Eure Stimme klingt gar nicht mehr milde. Nun, ich will mich Eurer Ungeduld beugen. Ich kenne die Inseln in diesem Fluss, weil ich auf ihnen als Junge zu Hause war. Ihr seht, ich bin nicht so fremd, wie es scheint. Wollt Ihr die ganze Geschichte hören oder nur den letzten Teil? Ich empfehle Euch die ganze Geschichte, so gewinnt Ihr Zeit. Aber es ist gewiss aufschlussreicher, wenn Ihr mir zuhört, als darüber nachzudenken, wie Ihr Eurem Dilemma entfliehen könntet. Vergesst nicht, Ihr könnt nicht schwimmen.»
    Wieder lachte er, und für einen Moment fühlte Claes Panik. Dann sah er Anne vor sich, seinen Sohn und sein Haus. Aber noch ertrank er nicht. Er würde zuhören und warten, bis seine Chance kam.
    Kosjan benutzte die Riemen jetzt nur noch, um das Boot in der Strömung ruhig zu halten und zugleich in die Richtung zu lenken, die er wünschte. «Ich fuhr schon etliche Jahre zur See», begann er, «als ich unter Stedemühlen als zweiter Steuermann anheuerte. Unsere Fahrt ging nach Malaga im Süden des spanischen Königreiches, aber wir erreichten den Hafen nie. Bald hinter Gibraltar sahen wir ihre Segel, sie holten schnell auf. Es waren zwei mächtige Schiffe, das größere eine Bark, wohl in England gebaut und nun unter der Flagge der algerischen Korsaren, die Ihr Barbaresken nennt, auf Kaperfahrt. Sie waren schneller als wir, und gewiss hatten sie auch die besseren Mannschaften. Wir kämpften entschlossen, aber es dauerte nicht lange, dann lagen die meisten von uns in Fesseln auf den Decksplanken.
    Ich weiß nicht, wie viele unter den Hieben der Barbaresken ihr Leben ließen, sie wollten ja nicht mehr als nötig töten, sondern uns als Sklaven verkaufen oder gegen Lösegeld zurückschicken. Aber ich weiß, dass einer von uns nicht durch einen algerischen Säbel verblutete. Ein scharfes Messer aus dieser Stadt schnitt ihm die Kehle durch. Und wenn ich auch zuerst glauben wollte, da habe ihn einer im Getümmel, Schreien und Pulverdampf mit einem der Kaperer verwechselt, wusste ich doch von Anfang an, dass es nicht so war. Ich hatte gesehen, wie unser Bootsmann seinen Vetter tötete, einen jungen Kaufmann, der als Passagier in Geschäften mit uns reiste. Ich sah auch, dass ein anderer ihm dabei half. Und dass unser Kapitän, der noch auf dem Achterdeck stand und hilflos Befehle schrie, auf die längst niemand mehr hörte, es auch gesehen hatte. Ich blickte in sein entsetztes Gesicht, dann trafen meine Augen die des Mannes mit dem blutigen Messer, ich sah seinen Triumph und zugleich das Erschrecken, als er merkte, dass ich wusste, was er getan hatte. Da traf mich von hinten ein Hieb, und ich kam erst wieder zu mir, als ich gefesselt mit vielen anderen unter Deck lag. Die Korsaren hatten unser Schiff übernommen, der Wind war gut, und schon nach wenigen Tagen liefen wir in den Hafen von Algier ein.»
    Sand knirschte leise unter dem Kiel, und Claes zuckte zusammen. Wo immer Kosjan hinwollte, sein Ziel war erreicht. Der Nebel war noch dick – auch wenn Claes gerade erst bemerkt hatte, dass er sich nicht mehr wie eine undurchdringliche Wand, sondern schon in Fetzen über das Wasser bewegte, wurde er hier über den Inseln wieder dicht wie Milch. Kosjan zog die Riemen ein und sprang behände aus dem Boot, die klamme Kälte schien ihm, der doch zehn oder mehr Jahre älter sein musste als Claes, nichts auszumachen.
    «Steigt aus», sagte er. «Ihr wolltet doch so gerne mein Ziel wissen. Wir sind da.»
     
    Zum zweiten Mal in dieser Nacht jagten Hufe über die regenschwere Erde von Harvestehude zum Fluss hinunter. Rosina, die gewöhnt war, die gemütlichen Pferde vor den hochbeladenen Komödiantenwagen zu lenken, war froh, dass der schwere Boden half, die feurigen Füchse im Zaum zu halten. Und sie hoffte inständig, in dieser nebeltrüben Finsternis nicht vom Wege abzukommen.
    Der Fluss war lang, doch weder Anne

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