Der Sommer des Kometen
aber er verstand ihren Blick nicht zu deuten.
«Oder liebst du sie immer noch?»
«Nein», flüsterte er, «natürlich nicht. Wie könnte ich sie neben dir lieben? Nein, das ist es nicht. Aber ich bin schuldig. Ich habe ihr Leben zerstört, auch wenn ich das nicht wollte, ich wollte, dass sie glücklich ist, mit mir glücklich ist. Wir waren sicher, dass ihre Eltern nachgeben müssten, wenn wir ihnen unsere Sünde beichteten. Aber ich habe sie unglücklich gemacht. Ihr Leben wäre besser gewesen, wenn ich nicht …»
«Woher willst du all das wissen, Claes? Du hast sie
vielleicht
unglücklich gemacht, aber ganz
gewiss
haben ihre bigotten Eltern das getan. Sie hätten sie lieber ein uneheliches vaterloses Kind zur Welt bringen lassen, als sie dir zur Ehefrau zu geben. Nur weil ihre Religion gegen die Ehe mit Andersgläubigen steht? Du bist kein Muselmane, kein Jude, deine Religion ist der ihren verwandt wie ein Bruder, andere Mennonitenfamilien verbinden sich auch mit Lutherischen. Und was hatten sie mit dem Kind und seiner Mutter vor? Wollten sie es in irgendeiner portugiesischen Familie verschwinden und ihre Tochter als unberührte Jungfrau heimkehren lassen? Neue Ware für den heimischen Brauthandel? Oder sollte sie dort bleiben, ihr Leben als Verbannte fristen? Die Mennoniten sind milde Leute, ihr Gott ist gnädig, und auch die Sünde ist für sie Gottes Wille. Nein, Claes, vielleicht wart ihr, du und Gunda, schwach und dumm, aber ihre Eltern waren die Sünder.»
Zornig schritt sie im Zimmer auf und ab, die Schritte kurz und hart wie ihre Worte. Claes starrte sie an, er wusste, dass sie heftig sein konnte, in ihrem Übermut wie in ihrem Zorn. Aber er hatte sie nie zuvor so aufgebracht gesehen. Und wie zuvor das Unwetter auf dem freien Feld nahm ihr Zorn ihm seine Beklommenheit, ließ ihn wieder frei atmen und klar denken.
Aber Anne hatte noch mehr zu sagen. «Etwas muss ich dir dennoch vorhalten, Claes. Es mangelt dir an Demut. Woher weißt du, ob sie an deiner Seite glücklicher geworden wäre? Woher weißt du, ob eure Liebe nicht im Alltag der Ehe bald schal geworden wäre? Geschieht das nicht oft? Und hat sie nicht gesagt, der Kapitän sei über viele Jahre ein guter Ehemann gewesen und sie habe gelernt, ihn zu lieben? Er ist nun tot, aber Gunda ist nicht nur eine wohlhabende Witwe, hat nicht nur ein schönes Haus und wohlgeratene Kinder. Gunda lebt, Claes. Du hast an ihrer Stelle Maria geheiratet. Und Maria ist tot.»
Ihre letzten Worte waren heiß und leise gewesen, aber er spürte jedes wie einen Messerstich.
Und ich?
wollte sie schreien. Wer bin ich gegen diese schönen zerbrechlichen Frauen aus deiner Welt? Wer bin ich gegen diese Lieben aus deiner Vergangenheit?
Doch dann sah sie sein weißes Gesicht, und ihr Schrei erstickte in einem trockenen Schluchzen.
«Verzeih mir, Claes. Das wollte ich nicht sagen. Marias Tod ist dir eine schreckliche Qual, und ich bin …»
Ein lautes Klopfen unterbrach ihre Worte. Die Tür wurde aufgestoßen, Kosjan schob sich energisch an Blohm vorbei, der vergeblich versuchte, ihn aufzuhalten.
«Ich weiß, dass ich störe», stieß er hervor, immer noch atemlos vom scharfen Ritt, «es tut mir leid, aber mein Anliegen duldet keinen Aufschub. Ich brauche Euch, Herrmanns. Oswalds Frau war gerade bei Bocholt und hat ihm gestanden, dass ihr Mann Marburger erschlagen hat. Und schlimmer noch. Er wusste, dass Mademoiselle Rosina ihm heute auf die Spur gekommen ist und hat sie entführt. Ich weiß, wohin. Euer Pferd wird schon gesattelt. Wenn wir schnell reiten, können wir sie vielleicht retten.»
Blohm, der zugehört hatte, brachte trockene Kleider, und einen Augenblick später eilten die beiden Männer hinaus. Kosjan saß schon im Sattel, da rannte Claes noch einmal zurück ins Haus. Anne stand immer noch wie erstarrt vor dem erlöschenden Kamin. Mit zwei Schritten war er bei ihr und umschlang sie fest.
«Es gibt nichts», flüsterte er, «nichts auf dieser Welt, im Himmel oder in Gottes Universum, das uns jemals trennen kann. Nichts.»
Dann war er verschwunden.
Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war immer noch in Aufruhr. In der Ferne grollte dumpf hallender Donner, letzte Blitze bäumten sich auf, und schwarzblaue Wolkenwände schoben vom Horizont graue Fetzen über die Stadt. Die Finsternis des Himmels verschwamm mit der beginnenden Dunkelheit des Abends, und es war kalt geworden. Nach der wochenlangen Dürre und Hitze hatte das Unwetter die Kälte
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