Der Sommer des Kometen
hat, schreckt vor einem dritten kaum zurück. So denkt Ihr gewiss, und vielleicht habt Ihr recht. Aber ich möchte Euch nicht töten. Jedenfalls nicht jetzt. Jetzt möchte ich Euch meine Geschichte zu Ende erzählen. Was nützt meine Rache, wenn niemand um ihre Ursache weiß? Wir Menschen sind eigenartige Geschöpfe. Wir nähren Jahre, gar Jahrzehnte die Lust auf Rache, und wenn wir am Ziel sind, bleibt eine trübe Leere zurück.» Er seufzte. «Wirklich enttäuschend. Ich spüre keine Reue, aber auch keine Genugtuung. Jedenfalls nicht genug, längst nicht genug. Bleibt sitzen! Und glaubt nicht, Ihr könntet mich übertölpeln.»
«Dann erzählt mir doch endlich Eure Geschichte. Sagt mir, was Euch das Recht gab, nach dieser langen Zeit zurückzukommen, nur um einen Mord zu sühnen, mit dem Ihr gar nichts zu tun hattet. Drei Menschen sind dafür gestorben. Seid Ihr Gottes Racheengel?»
«Ich habe nur zwei zu verantworten. Eigentlich habt Ihr recht, drei Köpfe standen auf meinem Plan. Aber den einen hatte mir schon Marburger abgenommen. Ich wüsste zu gerne, wie er es geschafft hat, Billkamp auf diese doch recht listenreiche Weise in die Hölle zu befördern. Und zu Eurem wirklich ehrbaren Einwand, nein, ich bin nicht Gottes Racheengel, sondern mein eigener. Macht mir die Freude, hört ein wenig zu. Wo waren wir, als unser Boot auf Sand lief? Ich lag gerade verschnürt wie ein Schinken unter Deck. Ach nein – wir liefen ja schon in Algier ein. Eine wunderbare Stadt, aber das entdeckte ich natürlich erst später. Sehr viel später. Übrigens heiße ich nicht Kosjan, mein christlicher Name ist Carsten Laurentus. Soll ich Euch meine Geschichte nun weitererzählen?»
«Habe ich eine Wahl?»
«Wohl kaum.» Kosjan, oder Laurentus, setzte sich Claes gegenüber in den feuchten Sand. «Wenigstens einer in dieser Stadt muss wissen, was damals wirklich geschah. Aber glaubt nicht, ich könnte darüber vergessen, auf Euch achtzugeben.» Er strich leicht über den Lauf der Pistole. Dann fuhr er fort: «Gleich nach der Ankunft in Algier legten sie uns Ketten an und brachten uns in die Bagnos. Marburger wurde wohl in ein anderes gebracht, jedenfalls bin ich ihm dort niemals begegnet. Ich vergaß den Mord, den ich beobachtet hatte, nicht, aber dachte zuerst auch nicht mehr daran. Mich bewegte nur eine einzige Frage: Wann man mir endlich erlauben würde, den Brief nach Hamburg zu schreiben, der der Sklavenkasse bezeugen würde, dass ich lebte, und die Summe nannte, für die ich freigekauft werden konnte.
Viele der Männer wurden schon in den ersten Tagen auf dem Sklavenmarkt verkauft, andere blieben wie ich im Bagno. Tagsüber arbeiteten wir an den Festungsmauern, am Palast, der in jenen Jahren erweitert wurde, oder in den Steinbrüchen. Dorthin wurde auch ich Tag für Tag gebracht. Ich sah dort Männer, die ich für stärker als mich selbst gehalten hatte, unter der harten Arbeit in der trockenen Hitze zusammenbrechen, die Lungen voller Steinstaub. Wir bekamen nie genug zu trinken, auch nie genug Brot. Es dauerte nicht lange, bis ich mich an der nächtlichen Jagd auf die Ratten beteiligte. Unzählige lebten in den dunklen, übervölkerten Kammern des labyrinthischen Bagnos, sie waren wie die Flöhe und Wanzen durch nichts zu vertreiben. So viele wir auch erschlugen, Nacht für Nacht drängten neue durch die Mauerritzen, angezogen von der Wärme und dem Gestank der gefangenen Männer.
Wir waren mehrere tausend Sklaven, die damals in den Bagnos der Barbarei vegetierten, Christen aus aller Herren Länder. Viele hatten vergessen, wie lange sie schon hier waren, und hegten keine Hoffnung auf Heimkehr, weil es niemanden gab, der das hohe Lösegeld für sie aufbringen konnte. Wir Hamburger Seeleute vertrauten auf die Lösung durch die Sklavenkasse. Und wir vertrauten auf die Menschen in unseren Kirchspielen, deren Spenden die nie ausreichende Kasse auffüllten.
Viele von uns hatten ihre Briefe schon lange geschrieben, als sie es endlich auch mir erlaubten. Ein Wächter brachte Feder, Tinte und Papier, und ich schrieb an meinen Vater, der den Antrag auf Lösung bei der Admiralität stellen musste. Der Brief gab mir neue Hoffnung, und mehr denn je versuchte ich, meinen Stolz zu bezähmen, um die Wachen, auch wenn sie mich oder einen meiner Freunde demütigten und quälten, nicht zu reizen. Ich wollte das Bagno überleben, wollte gesund zurückkehren, ohne zum Krüppel geschlagen worden zu sein.»
«Viele wären heute froh, wenn Euch
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