Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
das misslungen wäre!»
    Laurentus’ Gesicht lag im Dunkel. Claes konnte nicht erkennen, ob der Mann, der ihm mitten im Fluss gegenüber saß und die Pistole auf ihn richtete, ihn auch nur gehört hatte.
    «Aber dann verkauften sie mich und vier andere an einen Dei», fuhr Laurentus fort, «einen osmanischen Heerführer, der ein Gebiet regierte, das mehrere Tagesreisen weit südlich der afrikanischen Küste lag. Ich solle mich nicht sorgen, erklärte mir einer von denen, die ihre Sklavenjahre nicht mehr zählten. Wenn das Lösegeld komme, werde es an den Dei weitergeleitet, und ich würde dann von dort aus in die Heimat zurückgeschickt werden. Das komme oft vor. Ich solle froh sein, wenn man mich nicht auf eine Galeere bringe, denn das bedeute tatsächlich das Ende aller Hoffnung.
    Ich zwang mich, auf die Worte des Alten zu vertrauen, und mein Trost war, dass mit mir Pieter Graat auf den Weg in den noch heißeren Süden verkauft wurde.
    Pieter war ein halbes Jahr nach mir in das Bagno verschleppt worden, er war fast noch ein Kind, und aus gutem Haus. Nur mit größter Beharrlichkeit war es ihm gelungen, seinem Vater die Erlaubnis abzuringen, zur See zu fahren. Er liebte das Meer, aber er war nicht zum Seemann gemacht. Ich war ganz anders, aber ich fühlte eine tiefe Verwandtschaft mit dem Jungen, und ich beschützte ihn, wo ich konnte.
    Nachts, wenn wir unter der Hitze der Steine im Gestank der engen Verliese nicht schlafen konnten, erzählte ich ihm von meinem freien Leben auf See, erklärte ihm die Kunst der Navigation und versuchte, ihm durch den Lichtschacht die Sterne zu zeigen. Der Junge aus dem Patrizierhaus in Amsterdam sog meine Abenteuer und mein Wissen auf, und erzählte mir dafür von den Büchern, die er gelesen hatte.
    Das neue Leben nahe dem maurischen Palast, den der Dei mit seinem Gefolge und seiner Familie bewohnte, erschien uns zuerst paradiesisch. Immer noch waren wir Sklaven, immer noch arbeiteten wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, aber es gab nun genug zu essen und zu trinken; die Hütten, in denen wir die Nächte verbrachten, waren luftig und nicht viel schlechter als die Ställe für die Pferde, die der Dei so liebte. Auch die Arbeit in den Steinbrüchen war nun zu Ende. Unser neuer Herr ließ einen großen Garten anlegen, und diese Arbeit erschien uns wie ein Geschenk.
    Aber meine frohe Stimmung hielt nicht lange an. Schon mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit mein Schiff gekapert worden war, und meine Lösung war überfällig. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Neue Sklaven wurden gebracht. Die Gefangenen waren nach dem langen Marsch erschöpft, Pieter und mir wurde befohlen, ihnen Wasser zu bringen. Die Männer tranken gierig und dankbar, auch der letzte, dem ich den Krug an die Lippen hielt. Aber dann sah er auf, seine Augen wurden schmal, und er spuckte das Wasser, das noch in seinem Mund war, in mein Gesicht. Von einem Verräter nehme er nichts, stieß er hervor, und wenn er verdurste.
    Ich empörte mich nicht, ich wusste, dass die afrikanische Sonne einen erschöpften Geist leicht verwirrte. Aber dann erkannte ich den Mann, er war ein einfacher Matrose aus der Hamburger Neustadt, mit dem ich vor einigen Jahren auf dem gleichen Schiff gefahren war. Das Rätsel dieser Verachtung löste sich schnell, und ich erfuhr, warum mein Freikauf so lange auf sich warten ließ. In den Akten der Admiralität stand, dass ich, Carsten Laurentus, zweiter Steuermann auf der
Anna Marie
, beim Überfall der Korsaren nicht nur Feigheit gezeigt, sondern den Feinden auch freiwillig das Ruder übergeben hatte, um für mich selbst Schonung zu erkaufen. Die Lösung aus der Sklavenkasse war deshalb abgelehnt worden. In Hamburg wussten alle davon.
    Der Kapitän und sein Bootsmann Marburger waren als Zeugen vermerkt. Stedemühlen war als Erster freigekauft worden, so entsprach es der Tradition, und er hatte in seinem Brief gebeten, man möge seinen Bootsmann wegen dessen besonderer Verdienste um das Schiff mit ihm vor den anderen auslösen. Das geschah, und, so berichtete der Neustädter noch, der Bootsmann trage schwer am Tod seines Vetters und habe ihm zu Ehren seine Liebe zur Seefahrt geopfert, um als Nächster in der Erbfolge seine Pflicht in der Marburger’schen Zuckerbäckerei zu erfüllen.
    Endlich begriff ich, warum Marburger seinen Vetter getötet hatte. Er war nie, wie er nun vorgab, mit Leib und Seele zur See gefahren, und er hatte den Mann, der in der Erbfolge als Einziger vor ihm

Weitere Kostenlose Bücher