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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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stand, immer neidisch gehasst. Vielleicht hatte der Bootsmann diesen Mord lange geplant, vielleicht sogar bei seinem letzten Landgang in Hamburg mit Billkamp ausgetüftelt. Das weiß ich nicht, er hat es mir nicht mehr verraten. Aber wenn es so gewesen war, schenkte ihm der Überfall der Korsaren die beste Gelegenheit, den Platz an der Spitze seiner Familie und der Raffinerie zu erreichen, und die Käuflichkeit des Kapitäns ließ ihn auch noch als Helden aus seinem Verbrechen hervorgehen. Er war ein gemeiner Mörder, aber nun stand er an der Spitze seiner Familie und der Zuckerbäckerei.
    Er musste die beiden anderen sehr teuer gekauft haben. Billkamp war ein Kaufmannssohn aus Hamburg und wie Marburgers Vetter nur ein reisender Gast auf der
Anna Marie
gewesen. Ich kannte ihn nicht und wusste auch nichts von ihm oder von seinen Beziehungen zu dem Bootsmann. Aber der Kapitän war doch immer ein honoriger Mann gewesen, ein wenig schwach vielleicht. Ohne die harten Gesetze auf See und die natürliche Autorität seines ersten Steuermanns, der in vorderster Reihe durch die Hand eines Korsaren gefallen war, hätte es viel Unruhe auf seinem Schiff gegeben. Was war sein Preis gewesen? Nur Geld? Oder wusste Marburger Geheimnisse, die zumindest dem Kapitän gefährlich werden konnten? Mich, den Zeugen ihrer Untat, wollten sie jedenfalls in den Kerkern verrotten lassen.» Laurentus schwieg. Er starrte auf die Pistole, als habe er vergessen, wo er sich befand.
    Claes räusperte sich. «Aber wenn es wirklich so war, wie Ihr sagt, warum hat keiner der ausgelösten und heimgekehrten Matrosen für Euch gesprochen?»
    Laurentus nickte. «Das quälte mich am meisten. Immer wieder habe ich mir diese Frage gestellt. Ich fand nur eine Erklärung: Wahrscheinlich hatte in diesem Kampf gegen die wilde Übermacht der Korsaren niemand beobachtet, was tatsächlich geschehen war. Und wer würde es auch wagen, gegen seinen Kapitän auszusagen? Ich würde es tun. Ich musste es tun. Nun mehr denn je. Auf die Lösung konnte ich nicht mehr hoffen, so begann ich in der folgenden Nacht meine Flucht zu planen. Ich wusste, es war fast unmöglich, den Besitz des Deis zu verlassen und dann einen sicheren Weg durch dieses unwirtliche Land zu finden. Selbst wenn mir das gelang, wie sollte ich, der keinen Piaster besaß und dem man trotz der verbrannten Haut den Europäer sofort ansah, in einem der afrikanischen Häfen ein Schiff nach Norden finden? Eine Flucht, auch das wusste ich, bedeutete meistens den Tod. Doch nun hatte ich nichts mehr zu verlieren.
    So glaubte ich in jener Nacht. Schon am nächsten Abend erfuhr ich, dass das ein Irrtum gewesen war. Einer der Wächter hatte sich schon lange, niemand wusste, warum, ausgerechnet Pieter als Ziel für seine Quälereien ausgesucht, diesen sanften Jungen, der still seine Arbeit tat und sich am Werden des Gartens freute. An diesem Abend, als wir Sklaven gerade zur Nacht in unsere Hütten gebracht werden sollten, sorgte er dafür, dass Pieter in einen der frisch ausgehobenen Wassergräben stolperte. Der Junge versuchte aus dem steinigen Schlamm zu kriechen, er hatte sich verletzt und war von des langen Tages Arbeit erschöpft. Als er das dritte Mal in den Graben zurückgestoßen wurde, sprang ich endlich vor und half ihm. Sofort sausten harte Schläge auf mich und den Jungen nieder. Sicher hätte der Wächter in seinem rasenden Zorn über die Aufsässigkeit eines Ungläubigen zum Säbel gegriffen, wenn er nicht um den hohen Wert der Sklaven gewusst hätte. Schließlich bezähmte er sich und befahl den Abmarsch. Pieter hatte sich über mich, der ihn doch schützen wollte, geworfen und die meisten Schläge abbekommen, er war ohne Bewusstsein, und ich schleppte ihn zurück zu den Hütten. Niemand von den anderen half uns – dem vermeintlichen Verräter und seinem Freund.
    Es wurde Nacht. Pieter lag unruhig auf seinen Lumpen, und das Licht des fast vollen Mondes, das durch ein Fenster hereinfiel, leuchtete fahl auf seinem Gesicht. Ich saß bei ihm, hielt seine Hand, wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn und betete flehend und zornig um diesen Jungen. Die Wachen gingen vor der Hütte ihre Runden, einer brachte frisches Wasser, den Finger auf die Lippen gelegt, damit mein Dank ihn nicht an den Aufseher verriete.
    Kurz bevor der Mond hinter den Dächern des Palastes verschwand, schlug Pieter die Augen auf, sah mich an, drückte matt meine Hand und verzog die weißen Lippen zu einem Lächeln. Ich griff nach

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