Der Sommer des Kometen
beantworten, van Witten?»
Claes lächelte den kräftigen Mann, der hellwach und ganz und gar zufrieden in seinem Stuhl lehnte, spöttisch an. Van Witten war neben vielem anderen auch einer der vier für die Wedde verantwortlichen Senatoren. Er mochte etwa zehn Jahre älter sein als Claes, doch heute Morgen war er herausgeputzt wie ein junger Mann im Konkurrenzkampf um die schönste Tänzerin. Die matte Seide seines sandfarbenen Rockes schimmerte, die Silberknöpfe auf seiner langen Weste glänzten mit den Schnallen seiner Schuhe um die Wette. Wer ihn nicht kannte, hielt ihn leicht für einen polterigen, selbstgefälligen Großtuer. Wahrscheinlich war er tatsächlich ein bisschen selbstgefällig, aber hinter seiner lärmenden Fassade verbarg er einen klaren Verstand, und zuweilen zeigte er sogar ein großes Herz. Claes kannte van Witten gut und schätzte seine Direktheit. Die unerschöpflich gute Laune des Senators hatte ihn schon angesteckt, und vor allem war er erleichtert, dass van Witten Marburgers Tod untersuchte. Mit Holländer, der seine echte Eitelkeit mit bigotter Moral verkleisterte, wäre alles viel unangenehmer gewesen.
«Am besten schickt Ihr zuerst um den Kaffee», entschied der Senator, «dann wollen wir in Ruhe reden.»
Als Margret, eines der Mädchen, den Kaffee brachte, hatte Christian seine Geschichte noch einmal erzählt. Van Witten sah ihn dabei unverwandt an, während er die Reste vom Schinkenteller in seinen Mund schob, allerdings ohne Brot. Er stellte die gleichen Fragen wie Claes, jedoch keine nach Oswald, und das beruhigte Christian ein wenig, obwohl ihm klar war, dass nicht nur sein Vater diesen Verdacht hegen würde. Er wollte so schnell wie möglich mit Oswald sprechen, vorher allerdings musste er herausfinden, wo er jetzt wohnte. Seit seinem Bankrott lebte eine andere Familie in der hellen kleinen Wohnung über der nun stillgelegten Zuckerbäckerei. Wahrscheinlich waren die Oswalds in das Labyrinth der schmutzigen Gänge um St. Jakobi zurückgekehrt.
«Gut.» Van Witten rieb sich die Hände und schnupperte nach dem würzigen Duft, der aus seiner Tasse aufstieg. «Das wäre erledigt. Ah, da kommt unsere Spürnase.»
Blohm hatte die Tür geöffnet, brummte: «Der Weddemeister», und schob den zögernden Wagner, klein und dick, rotgesichtig und schwitzend, ins Kontor.
«Komm rein, Wagner, immer geradeaus. Und setz dich da hin», van Witten zeigte auf einen Schemel zwischen den Fenstern, «du machst mich sonst nervös.» Wagner setzte sich gehorsam. Er schwitzte, und das lag nicht allein an der Hitze, die auch heute seit dem frühen Morgen über der Stadt lag. Er schwitzte immer, wenn ein Senator in der Nähe war.
«Christian», fuhr van Witten munter fort, «für dich ist die Sache nun erledigt. Jetzt hat Wagner sie am Hals. Und ich.»
Er rührte eifrig in seinem Kaffee, legte klirrend den Löffel auf die Untertasse und faltete die großen weißen Hände fest auf dem Tisch.
«Herrmanns», sagte er dann bedeutsam, «die Stadt braucht Euch. Natürlich braucht sie Euch immer, Ihr bringt gutes Geld in die Kassen. Aber sie braucht Euch in dieser speziellen Sache.» Er sah Claes auffordernd an. «Nun macht es mir nicht so schwer.»
«Schwer? Was denn? Ich habe keine Ahnung, was Ihr von mir wollt. Was für eine spezielle Sache?»
«Ich will, dass Ihr Euch ein bisschen um diese Mordsache kümmert. Ihr wisst ja, als Weddesenator muss ich diese völlig überflüssige Untat aufklären. Aber ich muss mich schon um viel zu viel kümmern, und auch mein Tag geht nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Natürlich ist unser Meister Wagner die beste Spürnase, die man sich denken kann, aber Ihr kennt die Leute, Ihr könnt in Häusern, in denen Wagner nur dienstlich …»
«Moment. Nicht so schnell. Ihr wollt mir gerade sagen, dass Ihr keine Lust habt, herauszufinden, wer den Zuckerbäcker auf den Kopf geschlagen hat, und glaubt, dass ich Euch die Arbeit abnehme? Obwohl es weder meine Pflicht noch mein Recht ist, von meiner Zeit mal ganz abgesehen?»
«Genau das sollt Ihr.» Van Witten strahlte ihn an. Er erinnerte Christian an einen Schweißhund, der nach langem beschwerlichen Suchen seine Beute aufgebracht hatte.
«Das mit dem Recht ist kein Problem, das regeln wir schon, und das mit der Zeit, alter Freund, ist nicht so wichtig, wenn Eure Vaterstadt ruft.»
«Van Witten, mit Verlaub, das ist absurd. Und kommt mir nicht plötzlich vaterstädtisch. Das ist sonst auch nicht Eure Stärke.
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