Der Sommer des Kometen
Oswald angetan hat, ist niederträchtig. Dafür müsste man ihn von der Börse ausschließen. Das ist jetzt ja überflüssig.»
Claes drehte Christian, der immer noch an dem großen Eichentisch nahe dem Postregal saß und sich gerade den dritten Buchweizenpfannkuchen auf den Teller lud, den Rücken zu und blickte über das Fleet hinüber zur Jungfernbrücke. Er kämpfte gegen ein dumpfes, schwarzes Gefühl. Es gab keinen Grund dafür, und doch war es da. Er wusste nur zu gut, wie schnell einer, der ganz und gar unschuldig ist, in falschen Verdacht geraten konnte.
«Und Oswald? Kennst du den?»
«Götz Oswald kenne ich schon sehr lange», hörte er seinen Sohn antworten. «Du auch, du hast es nur vergessen. Götz’ Vater hat mit seiner Schute jahrelang Waren für dich transportiert. Ich durfte manchmal mitfahren, und obwohl er einige Jahre älter ist als ich, nahm er mich sonntags oft mit an den Oberbaum zum Angeln. Er war ein kluger Junge und hat mich immer gelöchert, was ich im Johanneum lernte. Er wäre sicher selbst gerne dort zur Schule gegangen.»
Claes versuchte sich zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. «Und warum hat er die Schute seines Vaters nicht übernommen?»
«Der starb schon, als Götz etwa dreizehn Jahre alt war, seine Mutter musste den Kahn wohl verkaufen. Ich habe ihn dann nicht mehr oft gesehen, ich lernte Latein, Mathematik, Französisch und die Gavotte, und er schuftete schon bei Marburger. Für eine richtige Lehre gab es kein Geld, und die Zuckerbäcker können als Unzünftige ja machen, was sie wollen. Auch mit ihren Leuten.»
Christian schob den leer gegessenen Teller zur Seite, faltete das Mundtuch zusammen und sah den Rücken seines Vaters nachdenklich an.
«Vater?»
«Ja?»
Claes bemühte sich, die Unruhe aus seinem Gesicht zu verbannen, und wandte sich wieder seinem Sohn zu.
«Warum fragst du mich nach Oswald? Du glaubst doch nicht etwa, dass der mit dem Mord zu tun hat?»
«Was ich glaube, wird in den nächsten Tagen ziemlich gleichgültig sein. Aber viele haben den Streit im Kaffeehaus erlebt. Da muss man kein Verleumder sein, um auf diese Idee zu kommen. Und du weißt, wie die Zuckerknechte sind. Starrköpfig, immer unzufrieden und bei jeder Schlägerei dabei.»
«Wenn ich so hart arbeiten müsste, wäre ich vielleicht nicht anders. Aber so ist doch nicht jeder, nur weil er alle Tage im Zucker steht. Götz zu verdächtigen, ist wirklich verrückt. Entschuldige, Vater, aber so ist es nun mal. Ich habe ihn, nachdem ich aus Bergen zurück war, wiedergetroffen und sogar zwei- oder dreimal ein Bier mit ihm getrunken. Er ist immer noch ein sehr freundlicher Mensch, er hat eine liebe Frau und drei Kinder. Das jüngste wurde erst im Mai geboren. Vor allem ist er nicht dumm genug, so etwas zu tun.»
Claes wusste besser als sein Sohn, wie wenig Verbrechen mit Klugheit zu tun hatte, aber bevor er ihn darüber belehren konnte, wurde die Kontortür schwungvoll geöffnet.
«Da ist er ja, unser Bluthund.» Senator van Witten stand in der Tür und lachte dröhnend. Er ging mit großen Schritten auf Christian zu, schlug ihm auf die Schulter, als habe er einen Amboss vor sich, und musterte ihn mit breitem Grinsen.
«Das kommt davon, wenn man sich schon am frühen Morgen auf den Wällen verlustiert, anstatt wie ein ordentlicher Kaufmann Geld zu scheffeln.»
Christian schob den Stuhl zurück und erhob sich mit einer höflichen Verbeugung.
«Guten Morgen, Herr Senator», murmelte er und rieb sich verstohlen die Schulter, aber van Witten hatte sich schon Claes zugewandt. Er war vormittags immer in Eile und hielt wohlerzogene Floskeln außerhalb der Salons und Ballsäle und insbesondere in Abwesenheit von Damen für reine Zeitverschwendung.
«Herrmanns, mein Freund, das gefällt mir gar nicht. Es ist schon genug Unruhe in der Stadt, und jetzt muss sich noch der Marburger den Schädel einschlagen lassen. Sehr kapriziös. Wie geht es Madame Anne? Hat sie unseren gestrigen Überfall auf ihren Garten verkraftet? Und glaubt Ihr, Eure Küche kann ganz flink ein Tässchen von Eurem hervorragenden Kaffee zaubern? Oder gibt es bei Euch um diese Stunde noch keinen sündigen Türkentrank?»
Dabei ließ er sich mit einer für seine Körpergröße unerwarteten Geschmeidigkeit in Claes’ Stuhl sinken, prüfte genüsslich die Bequemlichkeit der Lehnen und schnalzte mit der Zunge.
«Wirklich hübsch, Euer Kontor. Wo habt Ihr diesen Stuhl erstanden?»
«Welche Frage soll ich denn nun zuerst
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