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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den hinteren Teil des Parks abschirmte. Sicher ein Dachs oder ein Igel. Oder waren das Schritte? Vielleicht der Pferdejunge.
    «Benni?», rief sie leise, aber es kam keine Antwort. Sie lauschte mit angehaltenem Atem und hörte nur das Schlagen ihres Herzens. Die Nachtigall schwieg. Da war auch kein Rascheln mehr, selbst aus dem Haus drang nicht das leiseste Geräusch. Über ihren Nacken strich ein kalter Hauch, dann hörte sie es wieder. Eine Wolkenschwade schob sich vor die Mondsichel und nahm das letzte Licht, schwarz lag die Nacht trotz der Myriaden von Sternen über dem Land. Doch dort hinter der Robinie, deren Zweige ihre honigsüß duftenden Blütentrauben der zarten Fontäne in der Mitte des Springbrunnens entgegenstreckten, war da nicht ein noch dunklerer Schatten? Etwas bewegte sich, es kam näher, ein Schemen nur …
    Hufe klapperten plötzlich auf den rundköpfigen Steinen des Hofes, und der Schatten, dieser Spuk in der Finsternis, war verschwunden.
    «Anne?»
    Claes, vom schnellen Ritt noch erhitzt, kam mit langen Schritten um das Haus, und sie stürzte in seine Arme wie ein verlorenes Kind.
    «Ich habe so auf dich gewartet», flüsterte sie heiser, «so sehr. Warum lässt du mich so lange warten?»
    Claes hielt sie fest in seinen Armen, er fühlte ihr Zittern, und weil er dachte, es sei ein Zeichen ihrer großen Sehnsucht, lächelte er glücklich.
    Sonntag, den 15. Junius,
morgens in Bad Pyrmont
    «Und jetzt, Anneke, setzen wir uns dort unter diese hübsch duftenden Linden und trinken Schokolade.»
    Augusta Kjellerup zeigte mit ihrem Sonnenschirm auf eine kleine Runde von zierlichen Tischen und bequemen Stühlen, die der Wirt des Kaffeehauses an der großen Allee in den Halbschatten gestellt hatte. Es war noch früh, die meisten Kurgäste lauschten wohl der Predigt in der Petri-Kirche oder verschliefen den schönen Sonntagmorgen in einem der vielen Gasthäuser und Privatquartiere des kleinen Ortes. Sie war wie immer früh erwacht, hatte mit Anneke, ihrer alten Dienerin, die nach nun schon fast fünfzig Jahren ihres Dienstes mit all ihrer Schrulligkeit eher Vertraute war, am Brunnen brav das weltberühmte Heilwasser getrunken. Sie hatten, wie schon so oft, den Springbrunnen bewundert, aus dem reines Mineralwasser plätscherte, das es in anderen Städten nur in winzigen Fläschchen in den Apotheken zu kaufen gab. Hier gab es so viel davon, dass die Pyrmonter es wie die Hamburger ihr Bier ins Ausland verkauften. Sie hatte schon viele hochbeladene, von vier schweren Hannoveranern gezogene Fuhrwerke gesehen, die zahllose Fässer des guten Wassers nach Höxter brachten. Erst gestern hatte Niemeyer stolz berichtet, dass die Fässer dann auf den flachen Weserbooten bis nach Bremen und von dort mit großen Frachtseglern weiter bis nach den englischen Inseln und sogar nach den amerikanischen Kolonien gebracht wurden.
    Aber nun, so fand Augusta, sei der Gesundheit genug gedient. «Da ist noch zu», brummte Anneke. «Und wo wir gerade das gute Wasser getrunken haben, ist das nicht richtig.»
    «Du bist ein Griesgram, meine Alte, gerade
weil
wir das gute Wasser getrunken haben, haben wir uns jetzt eine Schokolade verdient. Murre nicht, sondern gib dem Wirt Bescheid, er soll uns flink Schokolade machen. Und an der Sahne nicht sparen.»
    Anneke verschwand weniger widerstrebend, als sie vorgab, nichts liebte sie mehr als heiße Schokolade. Ihre Herrin ließ sich mit einem wohligen Seufzer auf einen der gepolsterten Stühle fallen. Die graue Seide der neuen Schuhe war wirklich sehr hübsch, aber eindeutig zu eng genäht. War die ständige Qual mit dem Korsett nicht genug? Mussten auch die Schuhe
immer
so zierlich sein? Und dieses Wasser! Es schmeckte doch recht schwefelig, auch wenn es ganz gewiss sehr heilsam war. Die Geschichten von alten Knochen, die hier wieder jung geworden waren, konnte man überall hören.
    Augusta war nicht in der Stimmung, zu nörgeln, dazu war der Tag viel zu schön, und in ihrer Tasche steckte ein Brief von Claes aus Hamburg. Der reitende Bote der Kaiserlichen Eilpost hatte ihn gestern gleich nach seiner Ankunft am Abend im Haus Niemeyer abgegeben, in dem sie mit Anneke einige äußerst bequeme und sonnige Zimmer bewohnte. Der Wirt, der dumme Patron, hatte ihre Nachtruhe nicht stören wollen und ihr den Brief erst heute Morgen gegeben.
    Armer Claes. Da war ihr Neffe so glücklich, dass sein Sohn heimgekehrt war und sich im Kontor als guter Kaufmann erwies, nun verliebte der hübsche Junge

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