Der Sommer des Kometen
in Altona gemalt. Zartfühlend, sage ich dir. Besonders die Unzerin. Man weiß ja, wie groß ihr Kinn ist, aber nichts davon auf dem Porträt. Es soll auch einen sehr talentierten Neffen geben. Ist mein Kleid nicht delikat, liebste Augusta? Verte comme une prairie, sagt der Meister. Und ich bin die Blume darin. Das hat er zwar nicht gesagt, aber es versteht sich doch von selbst, dass er …»
«Aber ich verstehe kein Wort, Thomasine. Wenn du Luft geholt hast, verrate mir doch zuerst, was Monsieur Tischbein tatsächlich gesagt hat. Ich meine nicht über seine zahlreichen Brüder, Onkels und Neffen oder zu deinem Kleid.»
Das Kleid erinnerte Augusta weniger an eine Wiesenlandschaft als an einen Teich voller Entengrütze, aber sie wusste bei aller Spitzzüngigkeit stets, wann sie ihre Gedanken besser für sich behielt – obwohl das bei Thomasine manchmal an verschenkte Gelegenheiten zur Notwehr grenzte.
Thomasine kicherte, strich die gekräuselte Seide über ihrem üppigen Körper glatt und kicherte noch einmal.
«Ich weiß nicht, warum ich dich so mag, Augusta Kjellerup, du bist wirklich nicht immer comme il faut. Wahrscheinlich liegt es daran, dass …»
«Was, meine liebe Thomasine, hat Monsieur Tischbein gesagt?»
«Ach ja. Er sagt, morgen oder erst übermorgen, aber das ist ja fast dasselbe, wird Fürst zu Waldeck-Pyrmont auf dem Schloss erwartet. Mit der Fürstin. Ist das nicht fabelhaft?»
«Du kennst die fürstliche Familie?»
«Nein, noch nicht. Aber es ist doch sehr angenehm, den Landesherrn mit seinem vornehmen Gefolge hier zu haben. Er soll ganz reizend sein, aber seine Gattin!» Sie hielt ihre kleine runde Hand im nicht minder wiesengrünen Handschuh vor den Mund und versicherte sich mit eiligen glitzernden Blicken, dass niemand von Bedeutung lauschte. «Also, seine fürstliche Gattin, ich sage dir! Ständig Kopfschmerzen! Und sehr streng. Und er? So lebenslustig. Der arme Mann.»
Sie sah Augusta triumphierend an, sichtlich enttäuscht, dass die gebührende Resonanz auf diese ungeheuer wichtige Enthüllung ausblieb.
«Es wird ein Konzert im Schloss geben», fuhr sie munter fort. «Wenn du eingeladen wirst, verdankst du es mir, meine Liebe. Ich habe dem Meister schon erzählt, dass du in Hamburg sehr vertrauten Verkehr mit Monsieur Telemann pflegst. Der Fürst bringt seine Hofkapelle mit, und man wird Telemanns
Pyrmonter Kurwoche
geben, die er für den seligen Vater des Fürsten komponiert hat. Melodische Frühstunden beim Pyrmonter Wasser. Ein schöner Titel, und so heitere Melodien. Zu schade, dass euer Herr Musikdirektor schon so gebrechlich ist, sonst hätte er dich begleiten und uns wie seinerzeit die fürstliche Gesellschaft auf dem Cembalo unterhalten können, und gewiss …»
«Die Schokolade kommt jetzt.»
Anneke war an den Tisch getreten und starrte die Gräfin mit unverhohlener Feindseligkeit an.
«Wunderbar», sagte Augusta. «Dann setz dich auf diesen Stuhl, lehn dich zurück und ruh dich aus.»
Thomasine, die nie verstanden hatte, wie Augusta mit einer Domestikin so vertraulichen Umgang pflegen konnte, tat, als habe sie Anneke nicht bemerkt. Ihr neugieriger Blick hatte gerade den Brief in Augustas Schoß entdeckt.
«Ein Brief? Womöglich von Monsieur Telemann?»
Sie drohte neckisch mit dem Finger, und Augusta bereute, dass sie den Bogen nicht in ihrer Tasche gelassen hatte. Andererseits, niemand war so perfekt informiert wie Thomasine. Und auch wenn nie ganz klar war, wie sehr sie ihre Informationen mit Phantasie und mehr oder weniger übler Nachrede vermischt hatte, waren sie von Zeit zu Zeit ganz gut zu gebrauchen. Augusta kannte Gunda Stedemühlen, Claes’ Jugendliebe, nicht. In jenem Sommer, als die so plötzlich verschwunden war, lebte Augusta schon viele Jahre in Kopenhagen. Auch Thomasine stammte aus einer Hamburger Familie. Sie hatte in der Hansestadt einen Kopenhagener Kaufmann geheiratet, dem sie nach einigen Ehejahren in seine Heimat folgte. Dort hatte er sich vor allem um die Heringsfischerei und die marode königliche Kasse verdient gemacht und war deshalb vor einigen Jahren in den Adelsstand erhoben worden. Es würde anstrengend werden, aber es war einen Versuch wert.
«Nein, nicht von Telemann. Das ist ein Brief von Claes. Du erinnerst dich doch gewiss aus deiner Jugend an meinen Neffen?» Um Thomasine einen Köder hinzuwerfen, fuhr sie fort: «Er schreibt, dass Lysander Billkamp gestorben sei. Der Dichter aus der Gröninger Straße. Vielleicht erinnerst du
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