Der Sommer des Kometen
sich ausgerechnet in die Tochter der unglücklichen Jugendliebe seines Vaters. Eine Mennonitin zudem, und offenbar aus einer ganz altertümlichen Familie. Augusta fand Gunda Stedemühlens Empörung und die unerbittliche Trennung der beiden jungen Leute äußerst töricht. In Christians Alter war die Liebe noch schrecklich anstrengend.
Aber dass die Becker’schen Komödianten wieder da waren, freute sie sehr und bestärkte sie in ihrem Entschluss, bald nach Hamburg zurückzukehren. Die Erneuerung ihrer Bekanntschaft mit Rosina und Helena wollte sie nicht versäumen.
Sie sah die gepflegte vierreihige Allee hinunter, die sich allmählich mit Spaziergängern füllte. Pyrmont war eine ganz eigene Welt. Es gab auch hier Bäcker und Schornsteinfeger, Schweinehirten, Kohlenträger und Wäscherinnen, aber sie schienen im Verborgenen zu leben. Auch besuchten erstaunlich viele Bauernfamilien Pyrmont, um an den Brunnen und bei den vielfältigen Wohltaten des Badehauses ihre Gesundheit wiederzufinden. Als Augusta nach einer äußerst ungemütlichen Kutschfahrt vor vier Wochen von Köln in Pyrmont ankam, waren die bäuerlichen Brunnengäste noch zahlreicher als die vornehmen gewesen. Sie reisten auf mit Vorräten vollgepackten Fuhrwerken an, oft von weit her, selbst aus dem Münsterländischen und dem Osnabrückischen kamen sie, nahmen im Weiler Oesdorf nahe der Quelle Quartier und verhielten sich stets würdig. Die Trinkkur war bei ihnen seit Generationen beliebt, und man sagte, dieses Recht könne ihnen niemand verwehren, denn schon ihre germanischen Vorfahren besuchten und verehrten die Pyrmonter Quellen als Heiligtum. Augusta hatte von einer jungen Frau aus dem Ravensbergischen gehört, die sich im Ehepakt von ihrem Gatten das Recht auf Pyrmonter Brunnenkuren einräumen ließ. Mittlerweile waren die meisten Bauern wieder verschwunden, der Sommer schritt voran, und ihre Felder brauchten sie.
Auf den Alleen und in den blühenden Gärten zwischen dem Schloss und dem achteckigen Tempelchen über dem Trinkbrunnen bestand die Gesellschaft das ganze Jahr über nur aus reichgekleideten flanierenden und plaudernden Menschen. Die große Allee war den Landleuten wie der Besuch der Glücksspielsalons, der Konzerte und der Lesezimmer verboten. Die Trinkkur in Pyrmont gehörte in der feinen Gesellschaft der Residenzen und der Bürgerhäuser schon lange zum guten Ton. Wer auf sich hielt und die Mittel dazu hatte, mischte sich für einige Wochen unter die Fürsten, Herzöge und Grafen und hoffte, dass wieder einer wie Zar Peter der Große käme, mit 300 Pferden und einem Gefolge ohnegleichen. Das war schon fünfzig Jahre her, aber immer noch wurde daran erinnert, und wenn sich inzwischen auch andere gekrönte Häupter an der Brunnenkur und dem gesellschaftlichen Spektakel gelabt hatten, galt der Gewittersturm jenes glanzvollen Besuches als unübertroffen.
Augusta zog Claes’ Brief aus ihrer Tasche, doch bevor sie ihn ein zweites Mal lesen und darüber nachdenken konnte, wurde sie durch ein lautes «Chère Augusta, bonjour, bonjou-hur» gestört. Gräfin Soldenborg eilte am allseits begehrten Arm von Monsieur Tischbein, dem Kabinettmaler des Landgrafen von Hessen, auf das Kaffeehaus zu und schien fest entschlossen, Augusta Gesellschaft zu leisten.
Augusta vermutete richtig. Die Gräfin hatte sie als williges Opfer ausgemacht, es gab keine Möglichkeit, ihr zu entkommen. Dafür hatte der Maler endlich eine Gelegenheit, der unablässig plätschernden Plauderei aus dem Mund der fülligen Kopenhagenerin zu entgehen. Er rückte seiner Begleiterin einen Sessel zurecht und überließ Augusta mit einer vollendet eleganten Verbeugung die schon um diese frühe Stunde entsetzlich muntere Dame, murmelte eine Entschuldigung von Morgenlicht und göttlichen Farben der Tabakblüten auf den Feldern im lieblichen Emmertal und schritt eilends davon.
«Augusta, meine Liebe, wie schön dich zu treffen, stell dir vor, was Monsieur Tischbein sagt. Ist er nicht ein wunderbarer Kavalier. Diese Augen! Und der göttliche Schwung seiner Lippen! Und so ein begnadeter Künstler. Ich will meinen Thore doch unbedingt überreden, dass er uns von ihm porträtieren lässt. Und die Kinder. Aber er hat so viel in der Residenz zu Kassel zu tun. Für den Grafen. Der Arme. Nie wird er Zeit finden, uns in unserem neuen Palais in Kopenhagen zu besuchen. Wirklich, zu schade. Aber man wird sehen. Vielleicht sein jüngerer Bruder. Lebt er noch in Hamburg? Der hat auch die Unzers
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