Der Sommer des Kometen
dich auch an ihn. Bevor er sich vor einigen Jahren ganz der Dichtkunst verschrieb, war er ordentlicher Kaufmann.»
Still ertrug sie zuerst Thomasines Empörung über Kaufleute, die sich mit den Musen einlassen, dann das etwas angenehmere Loblied über ihren Neffen, den Kummer über den tragischen Tod von dessen erster Frau und den Zweifel an der Weisheit seiner Entscheidung für eine neue Ehe mit einer Engländerin. Thomasine war wirklich erstaunlich gut informiert. Augusta nutzte eine Atempause zu ihrer nächsten Frage.
«Aber gewiss erinnerst du dich nicht an Gunda Terhöft. Sie stammt aus einer mennonitischen Hamburger Familie, und Claes war in seiner Jugend gut mit ihr bekannt. Sie hat später einen Kapitän geheiratet, Stedemühlen, glaube ich. Sie leben jetzt wieder in Altona …»
«Natürlich erinnere ich mich. Oh», wieder wackelte sie mit dem lustig drohenden Finger, «dein Neffe denkt, die Sache sei geheim gewesen. Aber ich weiß natürlich darüber Bescheid. Ich war damals schon lange verheiratet und Mutter, aber wir lebten noch in Hamburg.»
Nun folgte die Geschichte ihrer ersten und vor allem der zweiten, viel schwereren Niederkunft und die lebhafte Schilderung der Freude Thore Soldenborgs über seinen ersten Sohn. Anneke schnaufte vernehmlich.
«Natürlich war er sehr stolz, Thomasine», unterbrach Augusta schließlich das Wortgeplätscher. «Er hatte allen Grund, und du auch. Was sprach man damals über die junge Terhöft? Warum verschwand das Mädchen so plötzlich? Claes war eine gute Partie, und ganz gewiss hatte er die ehrbarsten …»
«Mennoniten», unterbrach Thomasine sie düster, «du weißt doch, wie sie sind. Ehrbare Leute, und, das sagt Thore auch immer, äußerst tüchtig. Aber sie heiraten nur untereinander, obwohl es ja gar nicht so viele von ihnen gibt. Die reine Inzucht. Das will Thore nicht hören. Aber
ich
sage dir, da war mehr als die falsche Religion. Da stimmte irgendetwas ganz und gar nicht. Schau, da drüben geht Mademoiselle Liebig, wer ist wohl dieser hässliche Galan an ihrer Seite? Wo lässt der bloß schneidern? Also, ich hatte damals ein Mädchen, das kannte die Frau des Stallmeisters der Terhöfts, eine sehr unpassende Bekanntschaft übrigens, aber ich war immer großzügig in diesen Dingen, das weißt du ja, meine liebe Augusta. Ah, da kommt eure Schokolade, welch köstlicher Duft. Für mich auch, Wirt. Aber nur ganz wenig Sahne, ich halte auf Gesundheit. Ja. Was sagtest du gerade, Augusta?»
Augusta wünschte sich dringend einen Schluck von dem Rosmarin-Branntwein, der in der Vitrine in ihrem Salon im Neuen Wandrahm für Notfälle aller Art bereitstand. Aber der war weit, und so blieb ihr nur, besonders tief Luft zu holen.
«Du sagtest, dein Mädchen damals habe die Frau des Stallmeisters der Terhöfts gekannt, und die habe etwas über das Verschwinden des Mädchens gewusst.»
«Ja, richtig. Ist das nicht interessant? Die haben ihre Gunda von einem Tag auf den anderen einfach auf das nächste Schiff nach Lissabon gebracht, angeblich – und ich sage angeblich! – zu einem Verwandtenbesuch. Sie hatte nur eine Tante als Begleitung. Eine ledige natürlich, eine pflichtbewusste Ehefrau kann ja nicht so einfach wochenlang ihre Familie verlassen, es sei denn, um der Gesundheit willen. Aber stell dir vor, die Stallmeisterin war sicher, dass sie ihr Mohnsaft gegeben haben, damit sie schläfrig ist und nicht davonläuft. Hat man so etwas schon gehört?»
«Tatsächlich?»
Diesmal musste Augusta sich nicht um angemessenes Erstaunen bemühen. Das war in der Tat unerhört. Obwohl viele Mädchen in eine ungeliebte Ehe gezwungen wurden und sicher oft mit den abenteuerlichsten Mitteln, fand sie hier keine Ursache. Gunda wurde am Ende dieser seltsamen Reise ja nicht von einem unliebsamen Bräutigam erwartet, sondern von Verwandten in einem sonnigen Land.
«Hast du eben gesagt, Lysander Billkamp sei gestorben?» Thomasine zog nachdenklich ihre Stirn kraus. «Das ist kurios. Da habe ich jahrelang nicht mehr an all diese Menschen aus meiner Jugend gedacht, und nun sprichst du an diesem einen Morgen gleich von mehreren. Ich erinnere mich an Julius Billkamp. Es ist wirklich lustig. Ich wusste nicht, dass Gunda den Stedemühlen geheiratet hat. Der war schon lange vorher Kapitän, und Julius Billkamp war mit auf seinem Schiff, als es den algerischen Barbaresken in die Hände fiel. Es war ja auch sehr dumm, durch die Gibraltar-Enge ins Mittelmeer zu segeln. Heute macht das
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