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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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kein vernünftiger Mensch. Nur die Engländer. Ich weiß gar nicht mehr, wie war das damals doch?» Nachdenklich zog sie Augustas Kakaotasse zu sich heran, rührte zwei gehäufte Löffel Zucker hinein und nahm einen zierlichen Schluck. Anneke schnaufte lauter, aber Augusta legte den Finger auf den Mund. Sie fühlte eine erregende Spannung, und auch wenn diese Sache nichts mit Gundas Verschwinden zu tun hatte, sagte ihr eine innere Stimme, dass die gemeinsame Fahrt von Billkamp und Stedemühlen wichtig war.
    «Das war die Sache mit dem Freikauf. Erinnerst du dich nicht, Augusta? Du bist natürlich viel älter als ich und warst in jenem Jahr schon lange in Kopenhagen, aber gewiss hat dein Bruder dir damals davon berichtet. Alle Welt sprach darüber.»
    Augusta sah keinen Grund, Thomasine darüber aufzuklären, dass ihr spröder Bruder ihr nie etwas berichtet und höchstens zu Weihnachten einen höflichen Gruß gesandt hatte.
    «Das Schiff wurde von Barbaresken gekapert», fuhr Thomasine fort, «einige Männer wurden getötet, aber die meisten in die Sklaverei verschleppt, bis sie von der Sklavenkasse oder ihren Familien wieder freigekauft wurden. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder! Billkamp und Stedemühlen waren die Ersten, die zurückkamen. Aber wie war das nur? Ach, mehr weiß ich nicht. Es ist ja auch alles viel zu lange her. Und für diese dummen Männerangelegenheiten habe ich einfach kein Gedächtnis.»
    Thomasine machte ein verzagtes Gesicht. Über die Privatangelegenheiten und Familiengeheimnisse anderer Leute nicht ausführlich Auskunft geben zu können, war für sie das schlimmste Versagen.
    Sonntag, den 15. Junius,
nachts
    Lucia löschte gerade die Kerzen auf ihrem Nachttisch, als sie das Geräusch hörte. Es klang, als habe ein Zweig des Walnussbaumes vor ihrem Fenster an der Scheibe gekratzt, aber das war unmöglich. Die breite Krone war im letzten Winter kräftig beschnitten worden, damit sie in Sturmnächten nicht störte oder gar die Scheiben zerbrach. Wieder hörte sie das leise Klicken. Neugierig glitt sie aus ihren Kissen und schlich auf Zehenspitzen zum Fenster.
    Sie sah ihn gleich, der Schatten des Flieders verbarg ihn, aber er zeigte sich genug, damit sie ihn erkennen konnte. Christian Herrmanns, bis auf die weißseidenen Strümpfe ganz in Schwarz gekleidet, stand unter ihrem Fenster und hob gerade den Arm, um den nächsten Kiesel an ihre Scheibe zu werfen.
    Das Fenster öffnete sich fast geräuschlos – ihre Mutter achtete stets darauf, dass keine quietschenden Scharniere die Ruhe des Kapitäns störten –, und sie beugte sich hinaus.
    Da stand er und sah zu ihr auf. Lucias Herz klopfte, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Natürlich hatte sie in ihren Romanen oft von solchen geheimen nächtlichen Rendezvous gelesen, aber das war doch etwas ganz anderes. Er stand einfach da, bewegungslos, mit noch erhobenem Arm. Was sollte sie tun? Was tat man in so einer Situation?
    Lucia tat, was die Heldinnen in den Romanen taten. Sie warf ihm einen innigen Handkuss zu, formte mit den Lippen ein verheißungsvolles «Warte, ich komme zu dir», schlüpfte eilig in ihren neuesten Hausmantel mit dem Besatz aus Brüsseler Spitze und öffnete vorsichtig die Tür zum Flur. Sie lauschte, das ganze Haus lag still. Es war schon spät, sicher bald Mitternacht, eine Stunde, in der alles schlief. Auch sie war gewöhnlich zu dieser Zeit nicht mehr wach, aber der beunruhigende Trubel in ihrem Kopf hatte sie heute nicht einschlafen lassen.
    Wie musste er sie lieben, wenn er das Versprechen seines Vaters brach und auf diese unerhörte Weise ihre Nähe suchte. Im Flur und in der Diele war es dunkel wie in einem fensterlosen Keller. Sie schlich, die aprikosenfarbenen Pantöffelchen in der Hand, behutsam die Treppe hinab, mied die fünfte und die elfte Stufe, die immer schrecklich knarrten, und huschte durch die hintere Tür in den Garten.
    «Lucia», flüsterte er, «Geliebte.»
    Schnell legte sie ihm ihre Hand auf den Mund und spürte erschauernd den Kuss heißer Lippen. Sie nahm seine Hand und zog ihn im Schutz der Hecken auf die steinerne Bank am Rosenrondell.
    «Ich musste dich sehen», flüsterte er und ergriff ihre Hände, «ich musste einfach. Du sollst wissen, dass ich mich höchst widerwillig den Wünschen unserer Eltern beuge, nur um ihnen zu beweisen, dass diese lächerlichen vier Wochen unsere Liebe niemals zerstören können. O Lucia, wie schön du bist.»
    Lucia schwankte zwischen Entzücken und

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