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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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offenbar ganz anderen Tönen lauschte, und zupfte ihn zart am Ärmel.
    «Lasst uns nun gehen», flüsterte sie kaum hörbar. «Sie sind alle fort, und für uns wird es höchste Zeit.»
    Cornelius nickte, und sie schoben sich vorsichtig zurück durch die Hecke.
    «Wir müssen auf die Nachtwächter achtgeben», sagte Rosina immer noch flüsternd. «Es wäre gar nicht passend, wenn sie uns um diese Stunde auf den Straßen antreffen. Denkt an Euren guten Ruf.»
    Cornelius machte nicht den Eindruck, als sei er mit Scherzen aufzuheitern. Sie hätte nie geglaubt, dass sein rundes freundliches Knabengesicht so grimmig werden konnte.
    «Es tut mir leid, Cornelius.»
    Sein offensichtlicher Schmerz verführte Rosina ganz selbstverständlich zu der vertraulichen Anrede. Sie wusste, dass es für ihn jetzt keinen Trost gab, und bedauerte, dass er diesen absurden, gleichwohl heiteren Unterricht nun sicher beenden würde. Vielleicht war ihre Idee, Cornelius unter Lucias Fenster eine italienische Barkarole singen zu lassen, doch zu verrückt gewesen. Aber als sie feststellte, wie erstaunlich klar, melodisch und innig dieser vermeintlich so steife junge Mann zu singen vermochte, und dass er zudem das Italienische perfekt beherrschte, konnte sie nicht widerstehen. Zuerst sträubte er sich, aber schließlich siegte die romantische Seite seiner Seele.
    Cornelius schüttelte heftig den Kopf, und die Verzagtheit seiner Miene wich kühner Entschlossenheit.
    «Ich danke für Euer Mitgefühl, Rosina. Aber es muss Euch nicht leidtun, denn nun weiß ich um den Stand der Dinge. Wir müssen uns beeilen. Habt Ihr morgen wieder Zeit für mich? Am Vormittag?»

10. Kapitel
    Montag, den 16. Junius,
im Morgengrauen
    Die Kammern der Dienstboten lagen im Stedemühlen’schen Haus nach vorne zur Straße hinaus. Nur das Fenster der Köchin erlaubte den Blick über den Garten und den Fluss. Sie war eine Hugenottin aus Bristol, seit fünfzehn Jahren in Gundas Diensten und erfuhr deshalb und wegen ihrer außerordentlichen Fähigkeiten die beste Behandlung. Der Kapitän mochte karg und sparsam wirken, aber eine erstklassige Küche gehörte zu seinen wenigen Leidenschaften. Der Schlaf der Köchin widerstand Kanonendonner, die Stimme ihres Herrn, selbst wenn sie sich so ungewöhnlich hob wie in dieser Nacht, drang nicht einmal in ihre Träume.
    Gunda Stedemühlen hingegen, deren Schlafzimmer unter der Kammer der Köchin lag, musste gar nicht erst geweckt werden. Sie schlief in diesen Tagen schlecht. Als Christian Herrmanns ihr von dem jungen Matthew vorgestellt worden war, hatte sie, schon bevor sie seinen Namen hörte, gewusst, wer er war. Sein Lächeln, sein Gang, die Art, wie er beim Sprechen die Hände bewegte – in alledem glich er dem jungen Mann, der sein Vater einmal gewesen war.
    Seit sie hierher zurückgekehrt war, hatte sie immer damit gerechnet, Claes zu treffen, unversehens auf irgendeinem Platz, in einem Konzert oder bei einem ihrer seltenen Besuche in den Nachbarhäusern. Sie hatte sich davor gefürchtet und war gegen diese Begegnung gewappnet gewesen. Seinen Sohn zu treffen, war wie eine unerwartete Zeitreise in alte Bilder und überwunden geglaubte Gefühle. Beim ersten Mal nahm ihr Christians Anblick den Atem, und sie entkam der Flucht in die Ohnmacht nur, weil der Kapitän aufmerksam ihren Arm stützte.
    Natürlich war sie selbst schuld an allem, was seither geschehen war. Wie konnte sie nur dulden, dass er in ihr Haus kam wie irgendein beliebiger junger Mann aus den guten Familien der Stadt? Wusste sie nicht, dass genau dies passieren würde? Passieren musste? War es die Bosheit gewesen, die sie seit ihrer Kindheit immer wieder in ihrer Seele spürte und nur mit Mühe und Gebeten im Zaum zu halten vermochte? Wollte sie Claes’ Sohn den Schmerz widerfahren lassen, den sein Vater ihr einst angetan hatte? Wie töricht, wie unendlich dumm und kleinlich. Hatte sie nur an Rache für ihre gemarterte Mädchenseele gedacht und nicht an das Glück ihrer Tochter? Es gab keinen Grund für diese Rache, Gott war gnädig gewesen, als Er über ihr Schicksal entschieden hatte. Aber vielleicht war das nun eine späte Strafe.
    In dieser Nacht jedoch gestand sie sich endlich ein, dass sie einfach nicht stark genug gewesen war, Christian von ihrem Haus fernzuhalten. Nach dem ersten Erschrecken über die Verwirrung ihrer Gefühle hatte sie begonnen, sich selbst zu belügen: Sie genoss seine Besuche und sagte sich, durch die Gewöhnung an die Gegenwart seines

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