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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ängstlicher Sorge. Ihre Eltern hatten einen leichten Schlaf. Vielleicht war ihr Vater sogar wach und in seinem Observatorium. Sie war nicht sicher, ob dieses nächtliche Treffen, auch wenn sie es äußerst erregend fand, die Qual des strafenden Schweigens ihrer Mutter aufwiegen konnte.
    Aber sie sah seine brennenden Augen, roch den Duft von Rosen und Reseda …
    «Lucia!» Die Stimme ihres Vaters war leise, aber sie klang hart wie ein Donnerschlag und schneidend wie eine Sense.
    «Du stehst sofort auf, Lucia.»
    Seine Stimme war nun schon lauter, er packte seine Tochter hart am Arm und zog sie mit einem Ruck an seine Seite. «Und Ihr, Monsieur! Wie könnt Ihr es wagen, gegen mein Verbot und das Versprechen Eures Vaters in mein Haus einzudringen und meine Tochter mit dieser schmachvollen Szene zu beleidigen? Wenn Ihr auf meinem Schiff wärt, ich würde Euch kielholen lassen, bis die Muscheln am Bug Euren Körper zerfetzt, bis das salzige Wasser Eure Lungen gesprengt hätte und Eure ruchlose Seele zur Hölle gefahren wäre.»
    Die letzten Sätze schrie er, seine Augen brannten schwarz, und seine Faust schwang drohend durch die Finsternis der Nacht.
    «Wagt es nicht, nur ein Wort zu Eurer Verteidigung hervorzubringen, wagt es nicht! Und wenn Ihr nicht in einem Augenblick verschwunden seid, um nie, ich sage nie wieder, in die Nähe meiner Tochter zu kommen, werde ich Euch mit dieser Faust erschlagen. Kommt niemals wieder. Nicht in vier Wochen, in vier Jahren oder vier Leben. Eure Familie hat genug Leid über uns gebracht. Lauft, ehe ich mich vergesse. Lauft!»
    Er stieß Christian, der erschrocken von der Bank aufgesprungen war, in besinnungslosem Zorn gegen die Brust, und dem blieb nichts, als vor diesem Wüten zu fliehen, wenn er sich nicht mit dem Vater seiner Geliebten schlagen wollte.
    «Das werdet Ihr bereuen, Stedemühlen, furchtbar bereuen», schrie er im Davonlaufen über die Schulter zurück. «Vertraue auf mich, Lucia. Unsere Liebe ist unsterblich, was immer sie auch tun!»
    Lucia stand neben ihrem zornbebenden Vater, bleich wie der Mond im Winter, sah Christian durch die Hecke verschwinden und wusste, dass sich dieses Abenteuer gelohnt hatte. Egal, was nun folgen würde.
    Christian jagte sein Pferd in blindem Zorn über den Hamburger Berg und sann auf Rache für diese Demütigung. Nur eines beruhigte ihn: Niemand war Zeuge dieser peinlichen Begegnung gewesen, niemand würde sich das Maul darüber zerreißen, weder in Altona noch im Hamburg.
    Doch zumindest in Ersterem irrte er. Der Stedemühlen’sche Garten war in dieser Nacht und zu einer Stunde, da die Wächter längst zum Löschen allen Feuers und Lichts aufgerufen hatten, ungewöhnlich gut besucht.
    Nachdem Christian verschwunden war und der Kapitän seine zitternde Tochter in ihr Zimmer gescheucht und sich an seinen Lieblingsplatz im Pavillon zurückgezogen hatte, fühlte sich die Igelfamilie in ihrem angestammten Revier in der seitlichen Hecke immer noch gestört.
    Bei den Holunderbüschen am Rande des Gartens hockten zwei Gestalten mit heißen Wangen und klopfenden Herzen, Haar und Schultern mit winzigen weißen Sternblüten der Dolden berieselt. Christian wäre bei seiner Flucht aus dem Garten fast über sie gestolpert, aber er war so wütend und aufgeregt gewesen, dass er selbst einen Elefanten übersehen hätte.
    Rosina und Cornelius van Smid saßen wie erstarrt in der Hecke. Cornelius hatte in dieser Nacht seine erste praktische Unterrichtsstunde in Liebeswerbung absolvieren wollen, und auch wenn ihm das innige Geflüster seiner Geliebten mit seinem Rivalen immer noch wie ein Traumtheater erschien, wurde die Mutlosigkeit, die sein Herz umfing, immer bitterer. Solange er hier im Schatten dieser Zweige verharrte, blieb das eben Erlebte ein Traum. Mit dem ersten Schritt zurück durch die Hecke auf den ganz realen Weg in die Stadt wurde auch die Liebe zwischen Lucia und Christian Realität, und er wusste nicht, wie er das ertragen sollte.
    Auch Rosina fühlte sich wie in einem Theater. Aber die Komödiantin spürte alles andere als Mutlosigkeit. Der maßlose Zorn des Kapitäns hatte sie gefesselt, und die Szene der beiden unglücklich Liebenden auf der Bank zwischen blühenden Büschen am Rosenbeet, der Himmel über ihnen ein schwarzes Spitzentuch voller Diamantengeglitzer, die Mondsichel scharf und schmal – sie hätte sich nicht gewundert, wenn plötzlich elysische Violinen und Engelsstimmen erklungen wären. Sie blickte ihren Begleiter an, der

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