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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Insel, nur um dich, Josua Stedemühlen, zu strafen. Und du sprachst von Demut?»
    «Schweig, Gunda. Hör auf!» Er starrte sie an, mit geballten Fäusten und drohendem Blick, aber sie hörte nicht auf. Sie spürte die Kraft, die die Worte ihr zurückgaben, und wenn sie grausam waren, so entsprachen sie doch der Wahrheit.
    «Der überstürzte Umzug nach Bristol geschah nicht, wie du vorgabst, wegen des Klimas. Das ist nirgends auf der Welt besser als auf dieser blühenden Insel vor der afrikanischen Küste. Auch nicht, wie du ebenfalls alle Welt wissen ließest, aus Rücksicht auf meine von dem Erdbeben zerrütteten Nerven. Meine Nerven waren immer stark. Es war
deine
Flucht, Josua. Höre, was ich sage: deine Flucht. Wovor bist du geflohen? Ich war überzeugt, du fürchtetest Gottes Strafe, weil du mich geheiratet hattest. Du wusstest das, und ich werde dir nie verzeihen, dass du mir all die Jahre diesen Glauben ließest, der mein und der Kinder Leben verdüsterte.» Sie lachte böse. «Aber es war auch eine sehr praktische Flucht, nicht wahr? Endlich warst du im Zentrum deiner Geschäfte. Wurden sie dadurch noch besser? Gewiss wurden sie das. Erst als wir Bristol verließen, um hierher zurückzukehren, begriff ich. Du flohst vor deinem Gewissen, das dich Nacht für Nacht quälte. Ich weiß nicht, wer du warst, bevor ich deine Frau wurde. Aber ich weiß genau, wer mein Ehemann war. Und ist. Ich bin weder blind noch taub noch dumm. Ich weiß, womit du unser bequemes Leben bezahlst, die großen Kutschen und die edelsten Pferde, Porzellan aus Meißen und China, Seiden aus Ostindien und die reichen Gaben an die Kirche. Wusste John Wesley, als du ihn und seine Prediger so großzügig unterstütztest, dass das Geld mit Menschenblut erworben war? Dass du deine Geschäfte mit Kanonen, Pulver und Sklaven machtest? Oder war auch ihm das egal, wenn nur die Gaben groß genug waren und die Zahl der Gebete stimmte?»
    Er saß vor ihr, zusammengesunken, ein alter Mann, sah auf seine Hände, die er drehte und wendete, als sehe er sie zum ersten Mal. Schweiß rann ihm an Schläfen und Hals hinab, ein muffiger Geruch ging von ihm aus, und plötzlich, zum ersten Mal in ihrer langen Ehe, hasste sie ihn. Kalt und unversöhnlich.
    «Ich verachte diese Geschäfte, Josua. So wie jeder ehrliche Christ. Und wage nicht zu behaupten, du habest es für mich und die Kinder getan. Du wolltest reich und bedeutend sein, zu denen gehören, die all das haben, was du dir auf diese Weise erkauft hast», fuhr sie noch atemlos, aber in kalter Ruhe fort. «Ich verachte diese Geschäfte mit Menschenleben. Sie sind ekelhaft und jedes Menschen, egal, welcher Religion, unwürdig. Sprich mir also nie wieder von Haltlosigkeit und Ehre. Du hast kein Recht dazu. Mein Vergehen ist, so lange geschwiegen zu haben. Das ist nun vorbei. Ich ertrage dieses Leben nicht länger, Josua. Keinen Tag.»
    So ließ sie ihn zurück, stieg die Treppe hinab und lief in den Garten. Nun fühlte sie den Schrei, all die stummen Schreie der letzten Jahre, in ihrer Kehle. Aber man kann nicht so einfach schreien, wenn man jahrelang stumm war. So eilte sie durch den Garten, umrundete das Rondell immer wieder, bis ihr Herz ruhiger schlug, ihre Brust ruhiger atmete und ihr Kopf begriff, was sie gerade getan hatte. Sie sank erschöpft auf die Steinbank, dieselbe, auf der Lucia und Christian erst vor kurzem gesessen hatten, und versuchte vernünftig nachzudenken. Vergeblich, aber es machte nichts. Auch morgen oder übermorgen würde sie ihre Worte nicht bereuen. Sie erhob sich, und ohne sich noch einmal umzuwenden, ging sie zurück in das dunkle Haus.
     
    Stedemühlen saß immer noch vor dem Teleskop am Fenster des Pavillons. Er starrte durch das lange Rohr mit den geschliffenen Gläsern, die alles vergrößerten und ihn doch niemals sehen ließen, was er suchte.
    Gunda hatte recht. Sein Reichtum war der eines Teilhabers ehrbarer Bristoler Kaufleute, deren Schiffe englische Waren nach Afrika lieferten, dafür Sklaven eintauschten, die sie in den amerikanischen und westindischen Kolonien verschacherten. Dann kehrten diese Schiffe, beladen mit Indigo, Kaffee oder Zucker, vor allem Zucker, nach Europa zurück, und die Rundreise begann von neuem.
    Er selbst hatte nie ein solches Schiff geführt, aber er war durch diesen Handel reich geworden. Der Menschenhandel, der doch all seinen christlichen Prinzipien zuwiderlief, hatte ihn dennoch stets gequält. Und auch wenn er niemals begriff, warum, hatte

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