Der Sommer des Kometen
Kometen in Altona auftauchten, erfüllten sich ihre Befürchtungen schnell. Eines Abends, als sie wie oft in ihr Observatorium hinaufkletterte, saß er wie schon vor Jahren auf Madeira auf ihrem Platz vor dem Teleskop und schickte sie einfach fort.
Da erst begriff sie, dass vor allem der Pavillon mit dem weiten freien Blick über das Hochufer für seine Entscheidung, dieses Haus zu kaufen, ausschlaggebend gewesen war. Er hatte das zierliche Gebäude am Ende des Gartens, gedacht für Mußestunden mit einem Buch oder eine Tasse Tee, stabiler machen und mit einem turmartigen Dachzimmer versehen lassen, in dem sie ihr kleines Observatorium einrichten konnte. Er schenkte ihrer Korrespondenz mit Astronomen in verschiedenen europäischen Ländern zwar kaum Beachtung, aber sie wusste, dass er die Briefe aus der Ledermappe auf dem Tisch nahe dem Teleskop heimlich las. Und wenn sie hohe Summen ihres eigenen ererbten Geldes für die neuesten Sternenkarten und kostbare Bücher über die Himmelskunde ausgab, hatte er stets geschwiegen, und sie ahnte, dass er diese Schriften genauso gründlich studierte wie sie. Sie hatte nie begriffen, warum er sein Interesse nicht offen mit ihr teilte.
Er hatte das Observatorium also nicht nur für sie bauen lassen, sondern aus Angst vor einem neuen Unglücksboten. Er wollte bereit sein, ihn zu suchen.
Sie erklomm die schmale Stiege, und als sie das Dachzimmer betrat, schob er eilig eine halbleere Flasche mit grünem Absinth hinter die Bücher. Dann sah er sie an, seine Augen lagen tief und dunkel in seinem hageren Gesicht, und seine Lippen waren zu einer schmalen Linie aufeinandergepresst.
«Verzeih, wenn ich dich störe, Josua», begann Gunda, «aber ich habe den Streit im Garten gehört. War das Christian Herrmanns?»
Der Kapitän wandte sich abrupt ab. Das Fernrohr stand vor ihm auf dem Tisch, es ragte zum Himmel gerichtet aus dem weit geöffneten Fenster. Er starrte hinein, und die Fingerspitzen seiner linken Hand fuhren mit nervösen Strichen über das Schmuckmuster aus eingelegtem Perlmutt.
«Er hat es gewagt», stieß er schließlich hervor, «er hat es tatsächlich gewagt. Und du hast es nicht verhindert. Hat es bei dir auch so angefangen? Auf einer Gartenbank? In einer Nacht wie dieser? Ist sie ganz deine Tochter? Haltlos und ohne Ehre?»
Er sprach leise, aber seine Worte trafen Gunda wie ein Schlag ins Gesicht. Zweiundzwanzig Jahre hatte sie auf diese Worte gewartet und zuletzt geglaubt, sie würden niemals ausgesprochen. Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste keine Antwort. Vielleicht hätte sie in diesem Moment gehen sollen, jedes Wort, das sie nun sprach, würde alles nur noch schlimmer machen. Aber sie konnte nun nicht gehen. Auch wenn sie immer geglaubt hatte, sie würde in diesem lange gefürchteten Moment demütig niedersinken, alles ertragen, was er über sie ausschüttete, alles hinnehmen im Bewusstsein ihres Versagens vor Gott und den Menschen, erhob sich in ihrem Herzen nun ein Sturm. Alle Sanftmut und Bescheidenheit fielen von ihr ab, und ihr gebeugter Stolz richtete sie endlich wieder auf. Es kostete sie dennoch keine Kraft, ruhig zu bleiben, jetzt nicht mehr. Sie sah auf den steif gekrümmten Rücken hinunter, auf den Mann, dessen Leben sie geteilt, dessen Kinder sie geboren und dessen Sorgen sie getragen hatte. Jetzt war es genug. Die Stimme, mit der sie nun sprach, war von kalter Entschlossenheit.
«Ich erlaube dir nicht, mit diesen Worten von Lucia zu sprechen, Josua. Und sprich mir nicht von Ehre, als hättest
du
immer ein ehrenvolles Leben gelebt. Nein, du wirst mir jetzt zuhören. Ich weiß, was ich dir schulde. Du hast mich geheiratet, als ich ohne Ausweg war, und mich meinen Makel niemals offen spüren lassen. Aber ich weiß auch, was du mir schuldest. Ich war dir zwei Jahrzehnte eine demütige Ehefrau, ich war es, die dir ein Heim gegeben und deiner einsamen Seele geholfen hat, Ruhe zu finden. Ich habe lange geglaubt, die Qual, die dich seit einigen Jahren heimsucht, sei die Schuld meiner Unzulänglichkeit. Ich habe Gott angefleht, sie von dir zu nehmen, damit du Frieden findest und unser Leben wieder glücklich wird. Denn es war glücklich, Josua, auch wenn du nun so tust, als hättest du Glück nie gekannt. Auf Madeira waren wir glücklich. Bis das Erdbeben die Insel erschütterte und du zu glauben begannst, Gott habe es geschickt, um dich zu strafen. Du warst tatsächlich so vermessen, zu denken, Gott schicke Verderben über die Menschen einer ganzen
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