Der Sommer des Kometen
Sohnes werde nun endlich nach all den Jahren die Erinnerung an Claes alltäglich werden. Und weil sie es nicht anders sehen wollte, erschien ihr seine doch ganz offensichtliche Verehrung Lucias nur als jugendliche Galanterie, das übliche Spiel in den Salons. Und Lucia, versicherte sie sich stets, sei ein vernünftiges Mädchen und zudem Cornelius van Smid so gut wie versprochen.
Als sie nun die zornige Stimme ihres Mannes im Garten hörte, eilte sie ans Fenster und betrachtete bewegungslos die unwirkliche Szene am Rosenrondell. Sie hätte es wissen müssen. Niemand, auch Lucia und Christian nicht, war in diesen jungen Jahren das, was sie vernünftig nannte. Und rann nicht ihr Blut in Lucias Adern?
Als der Garten wieder still unter dem dunklen Himmel lag und die erschrockenen Zikaden ihr Lied von neuem begannen, schlüpfte sie in ihr Hauskleid und trat in den Flur. Sie erwartete, aus Lucias Zimmer Geräusche zu hören, auf- und abgehende Schritte, Schluchzen, aber kein Laut drang durch die Tür. Einen Moment lang fürchtete sie, das Mädchen könnte durch die Vordertür davongelaufen sein, aber so viel Übermut traute sie ihrer Tochter nicht zu.
Geräuschlos glitt Gunda die Treppe hinab – auch sie wusste um das verräterische Knarren der fünften und elften Stufe – und trat in den Garten. Die Sichel des Mondes stand nun hoch über der westlichen Elbe, und wenn die ersehnte Kühle auch in dieser Nacht ausbleiben würde, war die Luft doch frischer geworden. Sie mied wie zuvor ihre Tochter den breiten Kiesweg, um das Knirschen der Schritte zu verhindern, und ging auf dem schmalen Pfad zwischen der Hecke, die den Garten zu Van der Smissens Weg abgrenzte, und den buchsbaumgerahmten Beeten zum Pavillon.
Auf halbem Weg blieb sie stehen. Es war völlig windstill, aber da war ein beständiges Raunen in den Bäumen. Von der Elbstraße am Fuße des Hochufers glaubte sie Flüstern und leises Klirren zu vernehmen, als stieße man mit feinen Gläsern an. Ihre Nerven waren wirklich überreizt.
Aus den oberen Fenstern des Pavillons drang das milde Licht einer Kerze. Gunda seufzte. Er war nicht zu ihr gekommen, um das unerhörte Ereignis im Garten zu besprechen. Er hatte sich im Dachzimmer des Pavillons verkrochen, starrte in das Teleskop und versank, wie so oft in den letzten Jahren, in seinen Grübeleien. Sie wusste, er mied den Schlaf, um seinen Albträumen zu entkommen.
Sie hatte ihren Mann immer als kühlen klaren Denker gekannt. Damals auf Madeira, als die Menschen der Insel von einem Kometen sprachen, begann er sich, zunächst beiläufig und dann immer stärker, für den erwarteten Unglücksboten zu interessieren. Sie hatte darüber gelächelt, als Seemann waren ihm die Gestirne ja vertraute Botschafter. Aber dann saß er Nacht für Nacht im Turm, den ihr Haus wie viele andere in Funchal als Ausguck nach den gefürchteten Piraten hatte, und starrte durch ihr Fernrohr.
Der Kapitän, so hieß es, besitze ein Observatorium, aber tatsächlich war es Gunda, die die Sternenkunde betrieb. Als Mädchen hatte sie sich nie für die Sterne interessiert, doch auf ihrer langen gemeinsamen Reise von Hamburg in dieses neue unerwartete Leben, hatte er sie in die ersten Geheimnisse des nächtlichen Himmels eingeführt. Und der alte Jesuit, der in Stedemühlens Haus bis zu ihrer Ankunft das Privileg genoss, vom Turmzimmer aus den Himmel zu erforschen, setzte den Unterricht fort, nachdem auch der Kapitän ihm die Erlaubnis erteilt hatte, das Observatorium zu nutzen. Die nächtliche Welt des Himmels, die Suche nach neuen Sternen und Planeten wurde ihr bald mehr als der bewundernde Blick in eine schöne glitzernde Welt. Als der Mönch in seine portugiesische Heimat zurückbeordert wurde, bestellte der Kapitän in England ein neues Teleskop für seine Frau. Das kostbare Geschenk war seine Art, die Freude über Jakob, das gerade geborene zweite Kind, auszudrücken.
Aber als das Geflüster von dem bevorstehenden Kometen und die wilden Prophezeiungen über seine bedrohliche Bedeutung begannen, verdrängte er Gunda aus dem Turmzimmer. Sie fügte sich ohne Widerspruch, so wie sie es immer tat, und sorgte sich um seine wachsende Unruhe. Damals quälten ihn auch die ersten Albträume. Das Erdbeben, das 1748 die stille Insel heimsuchte, sahen alle als Beweis für die drohende Kraft des Kometen, der zwar über der Insel nie gesehen wurde, dessen Existenz jedoch als sicher galt.
Als nun vor wenigen Wochen die ersten Gerüchte über einen neuen
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