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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihrer gefürchteten Kopfschmerzattacken ankündigte. Sie erhob sich, um in der Wasserschale ein Tuch anzufeuchten – manchmal verhinderte eine kühlende Kompresse die ärgsten Schmerzen –, und dabei sah sie durch das Fenster, dass im Pavillon immer noch Licht war. Wenn Josua den Himmel beobachtete, löschte er gewöhnlich die Lampe, damit seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen und die Lichter des Himmels besser erkennen konnten.
    Der im beginnenden Tageslicht nur noch matte Schein stimmte sie milde. Er hatte sich also nicht einfach wieder seiner Kometensuche zugewandt. Vielleicht war es doch möglich, einen Weg zu finden, die Bitterkeit in ihrer beider Herzen zu besiegen. Vielleicht war es doch möglich, nach all den Jahren wie Vertraute miteinander zu sprechen. Und zu verzeihen?
    Sie ließ das nasse Tuch in die Schüssel gleiten, schlüpfte in ihr Hauskleid und machte sich auf den Weg zum Pavillon. Sie ließ sich Zeit, begutachtete einige der Beete und überlegte, welche Anweisungen die Gärtner heute Vormittag brauchen würden. Aber als sie erkannte, dass sie nur die Begegnung mit ihrem Mann hinauszögern wollte, ging sie eilig zum Pavillon.
    Die Vögel machten immer noch großen Lärm. In das übermütige Konzert der Amseln mischten sich nun alle die anderen gefiederten Gartenbewohner, die Rotkehlchen und Meisen, die Zeisige, Ammern, Buchfinken und auch das Zaunkönigpärchen, das in diesem Jahr in einer Mauernische nistete. Das Haus mit seinem reich mit Ornamenten geschmückten Seitengiebel und dem kleinen Glockenturm in der Mitte des Daches sah hinter den Büschen und wiegenden Baumkronen wie ein Hort des Glücks und des Friedens aus.
    Sie drückte entschlossen die Klinke hinunter, schloss noch für einen Moment die Augen, um all ihre Kraft zu sammeln, und schob die Tür auf.
    Er lag am Fuß der Treppe, die Glieder verrenkt, seine zur Faust verkrampfte Hand direkt vor ihren Füßen, als wolle er ihr drohen. Seine weit geöffneten Augen sahen sie an, aber er sah sie doch nicht, denn Josua Stedemühlen war tot.
    «So hat sie es der Wedde in Altona erzählt», schloss Wagner seinen Bericht. «Daran ist auch gewiss nicht zu zweifeln …»
    «Aber das ist doch eine ganz andere Sache als bei uns», unterbrach Claes, der sich verzweifelt bemühte, klar zu denken. Wieder einmal überschlugen sich die Bilder in seinem Kopf, die Gefühle in seiner Brust. Er dachte an Gunda, an das Entsetzliche, das sie erlebte, und er dachte an den jungen Mann, mit dem sich Stedemühlen kurz vor seinem Tod so schrecklich gestritten hatte, an seinen Sohn, auf dem nun endgültig ein schwerer Verdacht lasten musste. War es nur ein böser Scherz des Schicksals, dass Christian zuerst den gerade erschlagenen Marburger fand und wenige Tage später der Letzte war, der sich mit dem Kapitän gestritten hatte, bevor der eine Treppe hinuntergestoßen wurde? Nein! Ganz gewiss nicht wirklich der Letzte. Das war der gewesen, der ihn getötet hatte.
    «Aber es ist ganz anders als bei Marburger», fuhr Claes hastig fort. «Der Mann wird einfach die Treppe hinuntergefallen sein, völlig übermüdet, und er war ja auch nicht mehr jung, da passiert so etwas schon mal mitten in der Nacht und bei schlechtem Licht.»
    «Das dachte Madame Stedemühlen auch, aber es gibt Hinweise», Wagners sonst so träge Augen begannen jagdfiebrig zu glitzern, «Hinweise, dass ihm dabei jemand geholfen hat. Ein Riss in seinem Rock, und eine deftige Schramme vom Kinn bis zum Ohr.»
    «Wer die Treppe hinuntergefallen ist, hat immer Schrammen», wandte Rosina ein.
    Wagner nickte mit einem nachsichtigen Lächeln.
    «Aber diese, sagt der Arzt, habe ihm jemand vorher zugefügt. Madame Stedemühlen hat nämlich gleich nach einem Arzt geschickt. Sicher hat sie auch gehofft, er könne ihrem Gatten noch helfen, aber dem war nicht mehr zu helfen. Er war tot, noch nicht lange, aber doch schon eine ganze Weile. Sie hat den Arzt übrigens auch gleich selbst gebraucht: Als sie zum Haus zurücklief, sprang sie über ein Blumenbeet, um den Weg durch den Garten abzukürzen, und stolperte dabei in ein Mauseloch. Nun ist ihr Knöchel verletzt. Sie sollte ihre Gärtner wirklich besser beaufsichtigen. Mauselöcher haben in einem gut bestellten Garten nichts zu suchen.»
    Claes sehnte sich nach einem Kaffee, schwarz, stark, mit viel Kardamom. Er musste nachdenken, er musste Gunda besuchen, er musste mit Christian sprechen, was sollte er zuerst tun? Er musste auch Marburgers Mörder

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