Der Sommer des Kometen
Portal, und noch bevor er klopfen konnte, wurde es geöffnet. Doktor Struensee, seine große schwarze Tasche unter dem einen, die zerzauste Perücke unter dem anderen Arm, trat heraus.
«Monsieur Herrmanns! Hat sich das Unglück schon bis in Euer Kontor herumgesprochen?»
«Wie geht es Gunda? Madame Stedemühlen? Ich habe gehört, sie sei verletzt?»
«Das stimmt. Aber es ist nicht schlimm. Sie ist zu eilig durch den Garten gelaufen, nachdem sie den Kapitän am Fuß der Treppe fand. Ihr habt sicher auch gehört, dass er im Pavillon starb.» Er zögerte einen Augenblick und fuhr energisch fort: «Ach was, es wird sich ja doch herumsprechen wie ein Lauffeuer. Jemand hat ihn die Treppe hinuntergestoßen, wahrscheinlich nach einem kurzen Kampf. Das Teleskop und eines der Bücher lagen auf dem Boden, und der linke Ärmel seines Hausmantels ist fast herausgerissen. Und an seinem Kopf …»
«Gewiss. Aber wie geht es Madame Stedemühlen?»
«Ach ja, der Fuß. Wie ich schon sagte, nichts Schlimmes, der Knöchel ist nur ein wenig verstaucht. Das ist schmerzhaft und schwillt beängstigend, aber mit ein wenig Ruhe, Beinwellsalbe und Essigwasserkompressen ist es bald vergessen. Ihr seid gut mit der Familie des Kapitäns bekannt?»
«Nicht sehr gut, nur mein Sohn – doch das wisst Ihr wahrscheinlich schon viel länger als ich. Aber es stimmt, ich kenne Madame Stedemühlen aus meiner Jugend. Und nun entschuldigt mich, Doktor, ich möchte ihr mein Beileid aussprechen.»
«Gut.» Struensee nickte. «Und wenn das Mädchen Euch nicht vorlassen will, sagt nur, ich habe Euch Sondererlaubnis gegeben, Madame solle Euch unbedingt empfangen. Es wird ihr guttun, einen alten Freund zu sehen. Lebt wohl. Das Zuchthaus wartet auf mich, dort wird heute wieder geboren.» Er blickte skeptisch zum Himmel auf, stopfte die Perücke nachlässig in seine Tasche und verschwand in der Allee.
Struensees Sondererlaubnis, wie er es genannt hatte, wirkte wie ein Zauberspruch. Ohne ihre Herrin auch nur zu fragen, führte ihn das Mädchen die Treppe hinauf und in einen kleinen Salon im ersten Stock. Er möge warten, sie werde den Herrn bei Madame melden.
Claes trat an das zum Garten geöffnete Fenster. Die äußerst akkurate Idylle von quadratischen und runden Beeten lag verlassen. Es war sehr still, die Tür des Pavillons stand offen, und Claes fröstelte bei dem Gedanken, dass dort vor einigen Stunden ein Mensch getötet worden war. Nicht irgendein Mensch, sondern Gundas Ehemann, der Vater des Mädchens, das Christian liebte. Das gedrungene Gebäude mit dem kleinen Turm, umgeben von Goldregen und Holunder mit den letzten leuchtend gelb und weiß blühenden Dolden vor diesem düster dräuenden Himmel erinnerte ihn an ein altes holländisches Gemälde.
Aus dem Nebenzimmer hörte er leise Stimmen, wahrscheinlich würde das Mädchen gleich zurückkommen und ihn wieder fortschicken. Und auch wenn ihm in diesem Moment nichts lieber gewesen wäre, wusste er, dass er sich nicht fortschicken lassen durfte. Er musste mit Gunda sprechen, weil er mehr über den Kapitän erfahren musste. Vielleicht sollte er Struensee besuchen, der hatte den Kapitän sicher gut gekannt, oder er wusste, wer über ihn Auskunft geben konnte.
Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und Gunda betrat, leicht auf den Arm des Mädchens gestützt, den Salon.
Sie trug ein schlichtes Kleid aus grauem Musselin, ihre Augen glänzten dunkel und fiebrig in ihrem blassen Gesicht.
«Mit dir habe ich nicht gerechnet, Claes», sagte sie. «Bitte, setz dich doch.» Sie zeigte auf zwei zierliche Sessel, die links und rechts von einem niedrigen Rosenholztischchen nahe den Fenstern standen. Sie selbst wählte den linken, sodass sie mit dem Rücken zum Blick auf den Pavillon saß.
«Es tut mir so leid, Gunda. Ich weiß nicht, was ich sagen soll …»
«Warum bist du gekommen?»
«Gut. Kein Drumherumreden. Auf meinem Weg hierher war ich sehr verwirrt. Ich wollte dir beistehen, obwohl ich kein Recht dazu habe. Und ich wollte von dir hören, dass du …», er suchte angestrengt nach den richtigen Worten, «dass du, wie soll ich es nur sagen? Gunda, du weißt sicher, dass Christian gestern Nacht in eurem Garten war, dass dein Mann ihn fand und sie heftig miteinander stritten.»
«Zuletzt rief er, Josua werde seinen Zorn bereuen. Natürlich habe ich es gehört. Ich stand am Fenster und sah ihn fortlaufen.» Sie lächelte müde, zog eine kleine Bank heran und legte ihren dick verbundenen Fuß
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