Der Sommer des Kometen
finden. Wie hatte er sich nur von van Witten dazu überreden lassen können?
«Was nun, Wagner? Was denkt Ihr?»
Wagner dachte nach. «Ich denke, dass das alles recht seltsam ist», sagte er schließlich. «Wir haben drei Tote, die alle nichts miteinander zu tun hatten. So scheint es jedenfalls. Aber auch wenn es ganz unvernünftig ist, habe ich das Gefühl, als hätten sie
doch
etwas miteinander zu tun.»
Rosina nickte. «Das glaube ich auch. Wir müssen nur herausfinden, was es sein kann. Drei Männer sind tot, drei sehr verschiedene Männer.»
«Ein Dichter», begann Wagner mit der Aufzählung, «dessen Kunst nicht gerade verehrt wurde, der aber doch niemanden störte.»
«Aber», unterbrach Claes, «immer vorausgesetzt, er starb wirklich nicht zufällig, sein Tod oder zumindest sein Irrsinn muss jemandem genützt haben. Vielleicht seinem Erben? Er war sehr wohlhabend.»
«Das Testament ist noch nicht verlesen, aber er hatte keine Kinder, und es ist sicher, dass sein Cousin als einziger Verwandter der Erbe ist. Doch der ist ein honoriger Mensch und hat schon jetzt mehr, als der Dichter je hatte. Marburger war fast ebenso reich, wie reich, weiß bis jetzt allerdings noch niemand genau. Seine beiden Söhne sind seine Erben, aber der älteste ist zur Lehre in Bordeaux und der jüngere gerade fünfzehn Jahre alt und Schüler am Johanneum. Sehr brav, wie man hört. Und seine Gattin, so sagt man», er senkte die Stimme vertraulich, «ist der einzige Mensch auf Erden, der ihn wirklich geliebt hat.»
«Bleibt der Kapitän.»
Claes trommelte nervös mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand auf den Tisch. Jetzt war nicht die Zeit, über Christians Verbindung zu den Stedemühlens zu sprechen, aber es wäre dumm, so zu tun, als kenne er die Familie nicht.
«Ich habe ihn selbst nicht kennengelernt, er war nicht sehr wohl in der letzten Zeit, aber ich kenne seine Frau. Wir waren in unserer Jugend …» Er räusperte sich und fühlte ärgerlich Rosinas aufmerksamen Blick und die Hitze in seinem Gesicht, «… wir waren recht gut bekannt. Ich sollte gleich nach Altona reiten.»
Rosina sah ihn an, und auch wenn er die Botschaft ihrer Augen nicht deuten konnte, bereitete sie ihm Unbehagen.
«Von ihm wissen wir am wenigsten», sagte sie langsam und wandte ihren Blick Wagner zu. «Vielleicht kann Monsieur Herrmanns in Altona erfahren, ob der Kapitän mit Billkamp oder Marburger bekannt war. Oder mit beiden. Natürlich, wie dumm von uns!» Sie sprang auf und schlug sich mit der Hand an die Stirn. «Wie dumm.
Natürlich
hatten sie etwas gemeinsam. Es fiel uns nur nicht auf, weil das in dieser Stadt ganz gewöhnlich ist. Alle waren mit dem Handel verbunden, jeder auf seine Art. Billkamp war Kaufmann, bevor er sich in seine Dichterklause zurückzog. Marburger, das ist einfach, handelte mit Zucker und mit wer weiß was noch. Das werde ich schon herausfinden. Und Stedemühlen», schloss sie triumphierend, «war als Kapitän für viele Kaufleute auf den Meeren unterwegs.»
«Bravo, Mademoiselle.» Wagner schüttelte ihr überschwänglich die Hand. «Ich sage immer, der einfachste Weg führt zum Ziel. Das ist zwar noch nicht in Sicht, aber der erste Schritt ist der wichtigste. Und nun weiß ich auch, warum Ihr hier seid, und warum so seltsam verkl…»
«Donnerwetter, was für eine Versammlung in meinem Kontor!» Pagerian stand in der Tür und betrachtete verwundert das ungewöhnliche Trio. «So, so, Ihr wisst, warum unser Mylau hier ist? Er wird mir tüchtig helfen, ganz gewiss wird er das. Was sonst? Und nun, Messieurs, habe ich auch Zeit für Eure Fragen. Verzeiht, dass es ein wenig länger gedauert hat, aber wie ich sehe, habt Ihr Euch bestens unterhalten. Wenn ich bitten darf, wir wollen Mylau nicht bei der Arbeit stören, folgt mir in diesen Raum.» Mit einer sehr kleinen Verbeugung öffnete er die Tür und schritt, nun schon viel weniger trippelnd, in das fürstlich ausgestattete Zimmer, von dem aus sein Herr bis vor wenigen Tagen die Zuckerbäckerei regiert hatte.
Rosina, nun wieder ganz Sven Mylau, blieb allein zurück. Ihr Herz klopfte, und sie fragte sich, wie lange Pagerian wohl schon hinter der Tür gestanden und gelauscht haben mochte. Aber vor allem musste sie Claes Herrmanns ganz schnell wissenlassen, was Lies und Matti herausgefunden hatten. Sie vertraute Wagner, aber Weddemeister blieb Weddemeister. Es war nicht klug, so einen hören zu lassen, dass die beiden alten Frauen sich nicht nur auf Dinge wie
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