Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Nachtzug überfahren worden. Amtrak Superior, zwei Etagen und zwölf Wagen Eisen mit 90 Meilen die Stunde, und sie wurden unter dem Zug mehrere hundert Meter mitgeschleppt. Veronica starb an Ort und Stelle. Marion überlebte wunderbarerweise und lag im Koma im Krankenhaus, lebensgefährlich verletzt. Beide wurden so zugerichtet, dass man sie kaum wiedererkennen konnte. Der Lokführer wurde in Greensville, dem nächsten Bahnhof, der noch nicht geschlossen worden war, vernommen, aber ihm war kaum ein Vorwurf zu machen. Niemandem war ein Vorwurf zu machen. Höchstens den Mädchen selbst, oder denjenigen, die damals den Bahnhof Karmack geschlossen hatten. Es war die ewige Frage nach der Schuld. Frank fragte sich jedoch eher, was die Mädchen dazu gebracht hatte, ausgerechnet genau um 02.45 Uhr die Schienen entlangzugehen.
»Wen sollen wir zuerst informieren?«, fragte er.
Der Pfarrer lief hin und her, er fand keine Ruhe.
»Wir teilen uns das auf, jeder fährt zu einer Familie«, sagte er.
»Übrigens, es tut mir leid, dass ich Ihr Taschentuch nicht dabeihabe, aber …«
Der Pfarrer blieb stehen und unterbrach Frank.
»Taschentuch? Wir haben jetzt an anderes zu denken als an ein Taschentuch, Farrelli! Reiß dich zusammen!«
Frank war empört und nahm es sich zu Herzen. Nie wieder würde er dieses verfluchte Taschentuch erwähnen, auch wenn es der Pfarrer war, der es selbst ständig aufs Tapet brachte. So langsam wurde Frank unzufrieden mit diesem Tag, der so überwältigend und überraschend begonnen hatte. Und auf dem Weg nach draußen begegnete er Blenda, die auch benachrichtigt worden war. Beide blieben stehen, ließen dem Pfarrer den Vortritt.
»Wo bist du geblieben?«, fragte sie.
»Ich dachte, du würdest lieber allein aufwachen.«
»Habe ich den Eindruck vermittelt? Dass du nicht willkommen warst? Dass ich mir gewünscht habe, du solltest gehen?«
»Nein. So war es nicht.«
»Oder mochtest du mich nicht mehr? War das der Grund?«
Der Pfarrer wartete draußen auf dem Bürgersteig und winkte ungeduldig. Frank schaute zu Boden.
»Ich mochte dich. Ich mochte dich sehr, sehr gern. Ich wusste nur nicht, was ich sagen sollte, als ich aufgewacht war.«
»Du hättest gar nichts zu sagen brauchen, Frank. Und jetzt beeil dich, damit du es hinter dich bringst.«
Frank fuhr zuerst zu Veronicas Eltern, die am Ende der Union Avenue wohnten, im besseren Teil Karmacks, der auch seine besten Tage gesehen hatte, und ließ dort den Pfarrer aussteigen. Sie wünschten sich viel Glück, trotz allem. Der Pfarrer kam noch mit einer Ermahnung: Sei stark und deutlich. Frank Farrelli war stark und deutlich. Es graute ihm nicht vor seinem Auftrag. Er musste es zugeben: Er freute sich. Nein, freuen war das falsche Wort, das konnte missverstanden werden. Er sah seinem Auftrag entgegen. Dann fuhr er weiter zu Marions Familie, sie wohnte nicht viel weiter, in der Grand Valley Street. Er parkte vor einem hohen Tor, kämmte sich die Haare, kratzte etwas Dreck von den Schuhen und lernte noch einmal die Namen auswendig, Robert und Margareth Perkins. Er war Möbelverkäufer, sie engagiert in Wohltätigkeitsarbeiten. Beides lief in dieser Zeit nicht besonders berauschend. Wenn man nichts übrig hat, ist es schwer, wohltätig zu sein, und wenn das Haus, in dem du wohnst, verkauft werden muss, brauchst du keine neuen Möbel. Die Tür wurde weit aufgerissen, noch bevor Frank angekommen war, und eine hysterische Frau schrie und tobte, das musste die Mutter sein, da gab es keinen Zweifel. Im Hintergrund stand ein Mann, er wirkte ruhiger, was jedoch nicht bedeutete, dass er ruhig war. Die Ruhigsten, das sind diejenigen, die plötzlich in die Luft gehen und alles um sich herum zertrümmern, Gegenstände wie Menschen.
»Habt ihr sie gefunden? Habt ihr Marion gefunden?«
Frank sagte erst etwas, als er direkt vor ihnen angekommen war. Ihm kam in den Sinn, dass er auch dieses Mal nicht so recht wusste, ob er gute oder schlechte Nachrichten überbrachte. Das kam darauf an, wie man es betrachtete. Im Verhältnis zu dem anderen Mädchen, Veronica, war es eine gute Nachricht, denn nichts konnte sich mit dem Tod messen. Doch dann wurde er wieder unsicher. War es nicht so, dass der Tod eine Erleichterung sein konnte, wenn Tatsachen und Wissen die angerostete und nach einer Weile nicht mehr zu ertragende Hoffnung ablösten? Er dachte an Martin, der bei Steve wachte. Wie lange kann man überhaupt hoffen? Doch wenn man alles in Betracht zog, dann war es
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