Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
werden, während sie an dem stillgelegten Bahnhof namens Karmack vorbeigeschleppt werden. Wie schnell der Tod doch kommt, dachte Frank. Jemand schlug hinter ihm auf den Tisch, wahrscheinlich der Vater. Jetzt war es die Mutter, die kein Wort sagte. Wussten die Menschen denn nicht, dass Trauer auch ein Geschenk war? Warum behandelten sie sie dann nicht so? Trauer macht dich zu etwas Besonderem. Trauer wählt dich aus. Und große Trauer vereint mit Schmerzen setzt dich frei. Du trägst nicht länger die Verantwortung. Du bist befreit. Frank hörte, dass Mr Perkins aufstand.
»Das ist schwer zu sagen«, sagte Frank.
»Schwer? Wollen Sie damit sagen, dass Sie es schwer haben? Lebt sie? Können Sie verdammt noch mal nicht endlich damit rausrücken? Lebt unsere Tochter? Nun sag endlich etwas, verdammt noch mal!«
Frank drehte sich zu ihnen um.
»Marion lebt.«
Mrs Perkins stand auch auf. Der Ehemann musste sie festhalten. Vielleicht war es das erste Mal seit vielen Jahren, dass sie einander so an den Armen hielten. Vielleicht erinnerten sie sich gar nicht mehr daran, wann sie es das letzte Mal getan hatten. Vielleicht damals, als Marion geboren wurde. Und dann mussten erst Trauer, Schmerzen und Erleichterung kommen, damit sie es von Neuem taten, einander festhalten. Frank mochte die beiden nicht.
»Marion lebt«, wiederholte er.
»Gott sei Dank.«
Sie sagten es gleichzeitig, Gott sei Dank, sie sprachen mit einer Stimme, Gott sei Dank. Frank mochte sie noch weniger. Wem dankten sie da? Sie warfen mit hilflosen Worten nur so um sich.
»Aber wie Sie sich denken können, ist sie schwer verletzt worden, sehr schwer verletzt. Sie liegt im St. Mary’s Hospital im Koma.«
Die Mutter riss sich von ihrem Ehemann los.
»Aber sie wird wieder aufwachen? Das wird sie doch? Marion wird aufwachen?«
Sie fuhren zum St. Mary’s Hospital. Frank dachte an Steve. Gab es genug Hoffnung für alle? Oder hatte Martin, der Tag und Nacht über seinen Sohn gewacht hatte, das meiste aufgebraucht, das meiste der Hoffnung? In diesen Bahnen hatte er bisher noch nie gedacht. War es das Gleiche mit Unfällen, standen jetzt bald keine Unfälle mehr zur Verfügung? Nein, Gott, oder wer immer das sein mochte, war sicher großzügiger mit Unfällen als mit der Hoffnung gewesen. Der Arzt empfing sie.
»Du brauchst nicht mitzukommen«, sagte er.
Frank musste auf dem Flur warten, während der Arzt und das Ehepaar Perkins um die Ecke verschwanden. Er fühlte sich reingelegt. Am liebsten wäre er mit dem Ehepaar weitergegangen. Und zwar bis zu Marion, der Tochter, die noch lebte. Langsam ging er zum Fahrstuhl, vielleicht änderte der Arzt ja seine Meinung und wollte ihn doch dabeihaben. Aber das wollte dieser offenbar nicht. Frank konnte ebenso gut nach Hause fahren. Offenbar brauchten sie ihn nicht. Das war also der Dank. Dann hörte er wieder B 12, Blue Skies, und ging zu Steves Zimmer. Doch bevor er dort ankam, hörte er etwas anderes, jemand rief seinen Namen. Die Tür zu einem der Zimmer stand offen. Es war Bill McQuire, der Schlachter, der dort lag. Frank ging zu ihm. Bill hob die linke Hand von der Bettdecke. Frank wusste nicht so recht, ob das ein Willkommensgruß war oder ob er ihm das Ausmaß der Verletzung zeigen wollte. Der ganze Arm war bandagiert. Der Rest von ihm sah auch nicht besonders gut aus.
»Ich habe nicht erwartet, dass du mich besuchst«, sagte Bill.
»Wie geht’s?«
»Wie es geht? Im besten Fall muss der Finger amputiert werden. Im schlimmsten Fall der ganze Arm. Was mir auch egal ist.«
»Bei so einem kleinen Schnitt?«
»Du kannst an einem Mückenstich sterben. Die Wunde hat sich entzündet.«
»Das T-Bone-Steak schmeckte jedenfalls gut.«
»Sehr tröstlich.«
»Übrigens, hast du das Taschentuch noch?«
»Welches Taschentuch?«
»Das ich dir geliehen habe, Bill. Als du mit der Axt danebengehauen hast.«
Bill McQuire starrte Frank finster an.
»Bist du deshalb gekommen? Um ein bescheuertes Taschentuch zu holen?«
»Es gehört nicht mir, sondern dem Pfarrer. Er will es zurückhaben.«
»Du bist einfach unmöglich, Farrelli. Kommst hierher und nervst wegen eines Taschentuchs, während ich hier liege und verrotte.«
»Kannst du mir nicht einfach sagen, wo du es hast?«
»Was weiß denn ich! Vielleicht habe ich es weggeworfen. Vielleicht habe ich es in den Fleischwolf geschmissen! Vielleicht hat der Hund es gefressen! Frag meine Frau.«
»Du hättest auf mich hören sollen, Bill!«
»Auf dich hören?«
»Ich
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