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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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selbst überrascht. Wann war es passiert? Im Laufe der Nacht? Vorsichtig legte er ihr eine Hand auf die Schulter und wusste nur, dass er jetzt auch etwas bekommen hatte, das er verlieren konnte.
    Frank ging, bevor Blenda aufwachte. Es regnete, und der Regen tat gut. Noch war niemand unterwegs, wenn überhaupt jemand rausgehen würde. Was Frank nur recht war. Doch auf der Union Avenue war es mit der Ruhe vorbei. Er wäre fast mit dem Pfarrer zusammengestoßen, der die Straße schräg in Richtung Kirche überquerte. Frank konnte sich mit Müh und Not verstecken. Er hatte keine Lust auf weiteres Gerede über das Taschentuch. Außerdem wollte er möglichst nicht auf dem Heimweg an einem Sonntagmorgen gesehen werden, auch wenn es niemanden etwas anging, wohin er auf dem Weg war und woher er kam. Als Frank dachte, er hätte freie Bahn, stieß er stattdessen auf den Sheriff. Beide blieben stehen und sahen einander an.
    »Schon früh auf den Beinen«, sagte der Sheriff.
    »Du auch. Und der Pfarrer.«
    »Ja, wir brauchen gewiss ein paar saftige Predigten. Übrigens, hast du heute Nacht die Eisenbahnpfeife gehört?«
    »Nein, die habe ich nicht gehört«, log Frank und wusste selbst nicht so recht, warum er eigentlich log.
    Der Sheriff schüttelte sich.
    »Ich habe ein ungutes Gefühl«, sagte er. »Ein verdammt ungutes Gefühl.«
    Der Sheriff ging weiter zum Rathaus. Frank ging nach Hause. Seine Mutter saß in der Küche und wartete, vielleicht schon die ganze Nacht. Zuzutrauen war es ihr. Auf jeden Fall wirkte sie streitsüchtig, wie sie dasaß und ihren Kaffeebecher umklammerte. Frank ging an ihr vorbei, zu Mark, brachte das Goldfischglas ins Bad, wechselte das Wasser und streute Futter hinein. Dann beugte er sich hinunter, presste die Nase ans Glas, und sofort kam Mark angeschwommen und drückte von der anderen Seite dagegen, genau wie immer.
    »Begrüßt du nicht einmal deine Mutter?«, rief seine Mutter.
    »Doch.«
    »Der Fisch ist dir wichtiger als ich.«
    Frank ging zurück in die Küche und setzte sich.
    »Ist kein Kaffee mehr da?«
    »Wo bist du gewesen?«
    »Das geht dich gar nichts an.«
    »Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet.«
    »Das bräuchtest du aber nicht.«
    »Du hättest jedenfalls anrufen können. Ich habe nicht eine Sekunde geschlafen.«
    »Dann hast du sicher die Eisenbahnpfeife gehört? Vielleicht war es auch der Donner. Was glaubst du?«
    »Ich habe nichts gehört.«
    Frank lachte.
    »Dann hast du wohl doch geschlafen. Sonst hättest du die Eisenbahnpfeife gehört.«
    »Vielleicht bin ich ein bisschen eingenickt. Aber ich habe mir um dich Sorgen gemacht, Frank.«
    »Das brauchst du nicht. Dir Sorgen um mich machen.«
    »Mache ich aber. Mit all diesen Unfällen und …«
    Seine Mutter verbarg ihr Gesicht in den Händen, und Frank war der Meinung, sie würde ein wenig übertreiben. Er seufzte laut und vernehmlich.
    »Wir haben gestern bei Smith’s gegessen«, sagte er. »Sally macht immer noch gutes Essen.«
    »Wir? Wer ist wir?«
    »Was glaubst du?«
    »Ich erfahre ja nicht mehr, mit wem du dich herumtreibst.«
    »Blenda Johnson.«
    Die Mutter ließ die Hände fallen und sah ihren Sohn an.
    »Deine Sekretärin?«
    »Genau. Die immer alles für mich regelt.«
    Seine Mutter saß eine Weile nachdenklich und schweigend da. Dann stand sie auf, holte die Kanne und schenkte Frank Kaffee ein.
    »Hättest du dann nicht zumindest etwas anderes anziehen können als dieses Hemd?«
    Das Telefon klingelte. War es Blenda? Wollte sie ihn ausschimpfen, vielleicht hatte sie allen Grund dazu? Und was sollte er zu seiner Verteidigung vorbringen? Er hatte keine Ahnung. Er hatte in dieser Beziehung keine Erfahrung. Am besten, sich gleich reumütig zeigen, sagen, dass es nicht böse gemeint war, als er sich davonschlich, bevor sie aufwachte. Er bereute die ganze Sache bereits. Sobald du Gefühle für jemanden entwickelst, gerätst du in Schwierigkeiten. Verliebtsein ist eine Kinderkrankheit. Doch es war nicht Blenda, die anrief. Es war der Pfarrer. Frank atmete erleichtert aus. Er sollte so schnell wie möglich kommen. Es war etwas passiert. Die Stimme des Pfarrers zitterte. Frank zog sich seinen Anzug an, nahm eines der Taschentücher seiner Mutter mit und fuhr zum Rathaus. Er fand den Pfarrer unten an der Rezeption. Der Sheriff war zum Unglücksort gefahren. Der Arzt war im Krankenhaus. Zwei Mädchen, Veronica und Marion, beide 18 Jahre alt, waren die Eisenbahnschienen entlanggegangen und um Viertel vor drei von dem

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