Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
man es nun zugeben wollte oder nicht, einen Hauch von Komik an sich hatte, überhaupt gute Nachrichten? Trotz aller Tragik rief sie ein Lachen hervor. Leben und Tod, Tod und Leben, hatten den Platz getauscht. Oben und unten wurden umgedreht. Diejenige, die zum Leben erwachen sollte, war tot. Diejenige, die im Grab lag, lebte. Frank kam vollkommen durcheinander. Er war sich in keiner Sache mehr sicher, und das quälte ihn. Jetzt hätte er Blenda gebraucht. Jetzt bräuchte er ihre Unterstützung, aber sie hatte genug mit sich selbst zu tun und schien außer Reichweite und sehr geheimnisvoll zu sein. Frank wusste nicht einmal, ob sie die Nachricht gelesen hatte, die er ihr hinterlegt hatte, und danach fragen konnte er sie auch nicht. Denn nach allem, was er wusste, konnte sie ebenso gut wieder mit Bob Spencer zusammen sein, und allein der Gedanke daran verursachte bei Frank Übelkeit und Verbitterung. Er parkte vor der Pforte, ging durch den gefrorenen Garten und klopfte. Es dauerte seine Zeit. Er klopfte noch einmal. Vor allen Fenstern waren die Gardinen zugezogen. Waren sie nicht zu Hause? In Karmack war immer jemand zu Hause. Dann hörte Frank Geräusche von der Rückseite des Hauses. Er ging ums Haus herum und fand dort Mr Mills mitten in einem Haufen von Holzscheiten und Spänen. Er hackte Holz und bemerkte gar nicht, dass Frank zu ihm kam. Frank blieb stehen und betrachtete den Mann, der die Axt hob und auf das Holz einschlug. Frank ertappte sich dabei, sich nach den klaren Unfällen zu sehnen, einem Unfall, der nicht alles für immer zerstörte und die Ärmsten heimsuchte, sondern einem, der wiedergutgemacht werden konnte, geheilt, der verging, so wie die Zeit verging und alle Unebenheiten ausglich. Wenn Mr Mills sich ein paar Finger abgehackt hätte, könnte Frank problemlos der Frau berichten, was passiert war, Ihr Mann hat glücklicherweise noch sieben Finger übrig, Mrs Mills. Und dann konnte Arthur Clintstone kommen und das Blut und die Nägel von den Holzscheiten abwaschen. Das hier war nur ein einziges Durcheinander.
»Mr Mills?«
Endlich drehte er sich um.
»Ja?«
»Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Ich hacke Holz.«
»Das ist vernünftig, Mr Mills.«
»Brauchen Sie Holz? Bitte, bedienen Sie sich nur.«
»Deshalb bin ich nicht hier. Könnten wir vielleicht hineingehen?«
Mr Mills hackte noch einige Scheite. Dann ließ er schließlich die Axt fallen und Frank folgte ihm durch die Hintertür ins Haus. Jedem Schritt, den er ging, haftete eine Art Gleichgültigkeit an. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, in dem Mrs Mills auf dem Sofa ausgestreckt lag und kaum registrierte, wer da kam. Sie hatte es nicht einmal geschafft, auf Franks Klingeln hin die Tür zu öffnen. Und wer wollte ihr das vorwerfen? Niemand. Warum hätte sie irgendjemandem öffnen sollen? In dem viereckigen Kamin in der Ecke brannte ein Feuer. Die Flammen ließen ein Sausen hören, das an das ferne Geräusch von Autos auf der Autobahn erinnerte. Dennoch war es kalt im Zimmer. Da begriff Frank, dass es gar kein echtes Feuer war, sondern nur so ein Schmuckkamin. Aber er sah so lebendig aus, nur die Wärme fehlte. Mr und Mrs Mills wirkten weder neugierig noch abweisend, da war nur diese Gleichgültigkeit, die sich auf alles gelegt hatte, ein Bleigewicht, das das Ehepaar langsam aber sicher in die Tiefe hinabzog.
»Jetzt möchte ich Ihnen etwas mitteilen«, setzte Frank an.
Doch er kam nicht weiter, denn in dem Moment begriff er, wenn dieses Mädchen wieder aufgewacht war, dann hätte ja das Gleiche auch mit Steve passieren können. Steve hätte auch aufwachen können. Steve hätte auch aufstehen können. Aber Frank hatte ihm diese Chance genommen. Und das Ganze war Bob Spencers Schuld. Er war es, der mit allem angefangen hatte, dachte Frank und musste sich auf seinem Stuhl vorbeugen, um überhaupt atmen zu können.
»Könnte ich ein Glas Wasser bekommen?«
Mrs Mills blieb einfach liegen und sah ihn nur mit trübem Blick an, während ihr Mann in die Küche ging, den Wasserhahn aufdrehte, das Wasser eine Ewigkeit laufen ließ und dann mit einem schmutzigen Glas zurückkam, das er vor Frank auf den Tisch stellte, bevor er sich mit einem Seufzer auf seinen Stuhl sinken ließ. Es war nicht das Glas, das schmutzig war, sondern das Wasser, es war braun und trübe, von den rostigen Rohren verfärbt, die zu wechseln oder zu reinigen sich niemand leisten konnte. Frank trank trotzdem, schluckte mehrere Male und spürte, wie ihm der Schweiß in den
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