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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Nacken lief. Seine Handflächen waren so feucht und rutschig, dass er das Glas mit beiden Händen festhalten musste, damit es nicht hinunterfiel. Frank fing noch einmal von vorn an.
    »Ich möchte Ihnen etwas mitteilen. Es hat eine Entwicklung in der Angelegenheit gegeben.«
    »In welcher Angelegenheit?«, fragte Mr Mills.
    »In der Angelegenheit Ihrer Tochter. Es hat da eine Wendung gegeben.«
    Frank spürte, wie sich die Worte in seinem Mund veränderten, sie kippten zur Seite und blieben am Gaumen kleben.
    »Zum Besseren hin«, fügte er hinzu.
    Mrs Mills erhob sich mühsam vom Sofa und schleppte die ganze Tiefe mit sich an die Oberfläche.
    »Was sagen Sie?«
    »Ich sage, dass …«
    »Zum Besseren?«
    »Ja, ich habe …«
    »Warum sind Sie hierhergekommen? Sie erinnern mich an sie. Und ich will nicht an sie erinnert werden. Sie haben sich nicht mal die Schuhe ausgezogen. Sehen Sie nur den Fußboden an. Überall ist es dreckig.«
    Frank wandte sich Mr Mills zu, bekam aber keinen Augenkontakt, Mr Mills saß reglos da, gleichgültig, als ginge ihn all das gar nichts an. Er wollte lieber Holz für den elektrischen Kamin hacken. Frank sah wieder zu Mrs Mills.
    »Es tut mir leid, aber …«
    »Ich finde, Sie sollten jetzt gehen und uns nicht länger quälen. Wir haben genug, das …«
    Frank konnte nicht länger an sich halten.
    »Können Sie mich verdammt noch mal nicht einmal ausreden lassen, Sie alte Vettel? Ihre Tochter lebt!«
    Mrs Mills beugte sich über den Tisch und gab Frank eine Ohrfeige, der dabei nur dachte, dass sie jetzt wohl ganz den Verstand verlor. Jetzt haben alle in Karmack den Verstand verloren. Es folgte eine peinliche Stille. Dann musste er nach bestem Wissen und Gewissen erklären, was passiert war. Es folgte eine umständliche und gleichzeitig ganz einfache Geschichte, und an bestimmten Punkten war sie kaum zu glauben. Die Mädchen hatten die Jacken getauscht. Das war nur zu bedauern, sagte Frank, und er hörte selbst, dass das Wort, das er benutzte, nicht richtig war. Zu bedauern? Er kam nicht, um etwas zu bedauern, sondern um sich zu freuen, oder? Er war der Übermittler, der endlich mit guten Neuigkeiten kam. Marion Perkins lag in der Erde, im Namen einer anderen. Veronica, ihre Tochter, wartete auf sie im St. Mary’s. Sie fuhren dorthin. Es war keine Freude zu erkennen, keine Erleichterung und auch keine Dankbarkeit. Frank verstand die Welt nicht mehr. Unterwegs sagte Mrs Mills, dass sie jetzt wieder von vorn anfangen mussten, jetzt, nachdem sie es fast geschafft hatten, sich mit ihrem Schicksal zu versöhnen, kam dieser übereifrige Frank Farrelli zurück und riss alle Wunden wieder auf. Nein, er verstand die beiden nicht. Eine Sache war es, dass jeder Mensch seine Art der Trauer hat, aber kommt die Freude in ebenso vielen Formen?
    »Veronica lebt«, wiederholte er.
    Doch irgendjemand war so unbedacht gewesen, ihr einen Spiegel zu geben. Nach vielen Mühen gelang es ihr, ihn in die Hand zu nehmen. Als sie sich selbst sah, wollte sie nicht, dass irgendjemand sonst sie sah, auch ihre Eltern nicht. Wo ist mein Gesicht, weinte sie. Sie konnte sich auch nicht darüber freuen, nicht tot zu sein. Sie war achtzehn Jahre alt und das Leben war vorüber, auch wenn sie aufgewacht war, denn in dieses Leben wollte keiner wieder erwachen. Und genau wie an dem Abend auf den Gleisen, als sie die Jacken getauscht hatten, wünschte sie, noch einmal mit Marion tauschen zu können. Sie wollte lieber im Grab liegen, als mit so einem Gesicht zu leben, das kein Gesicht war und das niemand jemals lieben oder küssen wollte.
    Frank fuhr zurück zum Rathaus. Die Wut hatte sich in ihm festgesetzt. Eine umfassende Wut. Sie zeigte in alle Richtungen. Er musste seine Gedanken sammeln. An der Rezeption stieß er auf Blenda, was er gern vermieden hätte. Jetzt war nicht der Moment, in dem er sie brauchte. Er war noch nicht so weit.
    »Wie schrecklich, Frank.«
    »Kann man so sagen, ja.«
    »Dass so etwas möglich ist.«
    »Es ist möglich. Alles ist möglich. Es gibt keine Grenzen für das, was möglich ist.«
    Blenda schaute ihn abwartend an.
    »Übrigens habe ich deine Nachricht bekommen.«
    »Gut.«
    »Es ist nicht mehr lange hin bis Weihnachten.«
    »Im Augenblick habe ich eigentlich ziemlich viel zu tun.«
    Dennoch blieb Frank stehen.
    »Wie schrecklich«, wiederholte Blenda.
    »Für wen?«
    »Für wen?«
    »Ja, für wen war es am schrecklichsten?«
    Blenda schüttelte den Kopf.
    »Für Marions Eltern, nehme ich

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