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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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behalten.«
    Alle schwiegen eine Weile. Frank fing an zu frieren. Er spürte die Zugluft von der Haustür, sie kam durch das Schlüsselloch, durch den Spalt unter der Tür, und die Kälte legte sich um seine Glieder. Er konnte nicht länger still sitzen.
    »Es tut uns leid«, sagte der Arzt. »Wirklich. Wenn du etwas brauchst, was auch immer, dann sag es uns. Ja?«
    »Danke. Das weiß ich zu schätzen. Es ist ein Trost …«
    Er musste an diesem Morgen zum dritten Mal weinen, aber seine Augen waren trocken und wund. Es reichte nur für ein Schluchzen. Es war gut zu spüren, dass es wehtat. Er lebte. Die Männer standen auf, einer nach dem anderen. Frank brachte sie zur Tür. Er wollte gern mit zur Brandstätte, es war seine Brandstätte, ihm gehörten die Asche, die verkohlten Reste, der Weihnachtsschmuck und der verrußte Schnee. Er hatte ein Anrecht darauf. Der Sheriff sagte, sie müssten auf Verstärkung warten, auf Tatortspezialisten, Techniker, sie durften das nicht auf die leichte Schulter nehmen, sie mussten all ihren Stolz runterschlucken und Hilfe von außen anfordern. Nach dem, was mit den Mädchen passiert war, standen sie im Fokus. Frank sollte Bescheid bekommen, wenn sie mehr wussten. Sie setzten sich ins Auto und fuhren davon. Als Frank zurück in die Küche kam, stand seine Mutter dort.
    »Was hast du gemacht, Frank?«
    »Hast du gelauscht?«
    »Antworte mir. Was hast du gemacht? Was hast du gemacht?«
    »Was zum Teufel meinst du?«
    »Fluche nicht, Frank.«
    »Beschimpfst du mich tatsächlich, nachdem ich gerade erfahren habe, dass Blenda tot ist? Verbrannt. In meinem eigenen Haus.«
    Frank machte einen Schritt auf seine Mutter zu. Sie ging sofort einen Schritt zurück. Das erschreckte ihn. Seine Mutter hatte Angst. Er sah es. Sie hatte Angst vor ihrem eigenen Sohn.
    »Ich habe es momentan nicht gerade leicht, Mutter. Ich habe …«
    Mehr brachte er nicht heraus, stützte sich auf dem Küchentisch ab, die klebrige Wachsdecke hing an seinen Handflächen fest.
    »Benzin, Frank. Du riechst nach Benzin.«
    »Wie oft muss ich noch sagen, dass ich bei Steves Autowerkstatt gewesen bin.«
    »Und was, wenn ich dir sage, dass ich dir nicht glaube?«
    »Warum solltest du mir nicht glauben?«
    »Ich habe dir damals auch nicht geglaubt. Nur dass du es weißt.«
    Frank nahm die Hände von der Wachsdecke, einen Moment lang hing sie fest, und es sah aus, als wollte er den ganzen Tisch anheben, bis er in der Luft schwebte. Dann löste sich die Decke, fiel an ihren Platz, und er richtete sich auf und schaute aus dem Fenster, ob noch andere kämen, die ihn trösten wollten, kondolieren, aber es kam niemand, und wer hätte das auch sein sollen? Die, die er kannte, die ihm wichtig waren, sie waren tot, Steve, Martin, Blenda, sein Vater. Er sah nur die weiße Öde in der April Avenue, in der alles zu verkaufen war und niemand kaufen wollte.
    »Wovon redest du? Wann damals?«
    »Als dein Vater starb.«
    »Ja und?«
    »Das war kein Unfall.«
    »Was war es dann?«
    »Du hast die Leiter weggestoßen. Es war kein Unfall. Ich habe es selbst gesehen. Ich stand da, wo du jetzt stehst, und habe es gesehen.«
    »Willst du mich beschuldigen, ich hätte meinem Vater das Leben genommen? Meinem eigenen Vater?«
    »Was ich gesehen habe, habe ich gesehen.«
    »Vielleicht bin ich gegen die Leiter gekommen. Aber er ist nicht durch den Sturz gestorben. Sondern durch die Sense, die dort lag.«
    »Würde mich nicht wundern, wenn du sie dort hingelegt hättest.«
    Frank wandte sich seiner Mutter zu und packte sie bei den Schultern.
    »Und du hast Blenda mit dem uralten Weihnachtsschmuck und den kaputten Lichterketten in das Haus geschickt. Da hast du deinen Brand, du alte Vettel!«
    »Lass mich los.«
    Frank ließ sie los, ging in sein Zimmer und zog sich saubere Wäsche an. Der schwarze Anzug passte auch an diesem Tag, selbst wenn er nicht zur Arbeit gehen sollte. Als er wieder in die Küche kam, stand seine Mutter noch an der gleichen Stelle. Sie hatte nicht einen Finger gerührt, und es schien, als hätte sie auch nicht vor, das demnächst zu tun.
    »Wohin willst du?«, flüsterte sie.
    »Vielleicht zur Arbeit.«
    »Jetzt?«
    »Ich muss etwas anderes in den Kopf kriegen. Und die Welt steht nicht still, nur weil …«
    Die Mutter fing an zu weinen. Frank sah, wie sich ihr Gesicht auflöste. Ihr Gesicht verschwand. Sie weinte um ihn. Es waren echte Tränen. Er fühlte Dankbarkeit und strich ihr über die Wange.
    »Es war ein Unfall,

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